„Was sich ändern muss“ – Kolumne von Peter Thilo Hasler
Was war das nur für eine Geschichte. Jahrhunderte, nachdem sich Unternehmen erstmals mittels Anleihen refinanziert hatten, wurde die älteste aller Finanzierungsquellen hierzulande auch für die kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) salonfähig. 2010 wurden an den Börsen Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf, Hamburg und München sukzessive neue Börsensegmente speziell für Anleihen mittelständischer Emittenten geschaffen. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass mehr als 90 % aller deutschen Unternehmen zu den KMUs gezählt werden, war dieser Schritt längst überfällig. Endlich, so die Hoffnung, öffneten sich die häufig gründergeführten Gesellschaften dem Kapitalmarkt: Zuerst mit Anleihen, später vielleicht auch mit Aktien.
Da die an diesen Börsen gehandelten „Mittelstandsanleihen“ im Vergleich zu den Benchmark-Anleihen von Siemens, Allianz und Co. deutlich kleinvolumiger sind, werden sie häufig auch „Minibonds” genannt. Damit verbunden ist ein vernachlässigter, jedoch wesentlicher und möglicherweise entscheidender Nachteil des Konzepts: Die fixen Kosten einer Emission schlagen sich prozentual zum Emissionsvolumen deutlich stärker nieder als bei Benchmark-Anleihen. Was zur Folge hatte, dass Emittenten, Berater und Banken bestrebt waren, diese Fixkosten so niedrig wie möglich zu halten.
Eine der beliebtesten Möglichkeiten, Fixkosten zu senken, fand sich beim Rating. Zumal es hierbei zunächst kaum Verlierer gab: Emittenten konnten die traditionellen US-amerikanischen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch, die nach den Bilanzierungsproblemen um den US-Hypothekenmarkt zudem wenig an einer Einschätzung ausgerechnet des deutschen Mittelstands interessiert waren, durch deutlich günstigere deutsche Ratingagenturen ersetzen. Dass diese darin wenig Erfahrung hatten: geschenkt. Schließlich spielt der familiengeführte deutsche Mittelstand in einer anderen, vermeintlich sichereren Liga als die vermeintlich allein auf kurzfristige Quartalserfolge ausgerichteten managergeführten Großkonzerne. Deutsche Ratinghäuser wiederum erfreuten sich als Newcomer an dem riesigen Marktpotenzial, das sich ihnen plötzlich erschloss, und befriedigten die massenhafte Nachfrage nicht selten mit Hilfe von Universitätsabsolventen, die trotz wenig Berufserfahrung kurzerhand zu Ratinganalysten befördert wurden. Was wiederum das Management der emittierenden Unternehmen erfreute, das sich nicht mit englischsprachigen und berufsbedingt kritischen Analysten der großen Ratingagenturen auseinandersetzen musste, zumal die Kommunikation, weil die Analysten der „Big Three“ meist an der amerikanischen Ostküste verortet sind, über Telefonkonferenzen in englischer Sprache und dann auch noch zu später Stunde stattgefunden hätte.
If you feed peanuts you get monkeys
Was dabei notgedrungen auf der Strecke blieb, war die Qualität der Ratings. Dies kann an der exorbitanten Herabstufungsquote der Folgeratings quer durch alle beteiligten Ratingagenturen festgestellt werden. Bereits während der Anfangsjahre 2010 bis 2014 waren lediglich 5 % der Folgeratings besser als das Initialrating zum Zeitpunkt der Emission. Dagegen kam es bei 39 % der Folgeratings zu einer Verschlechterung der Bonität. Nicht berücksichtigt dabei waren die zwischenzeitlich eingestellten Ratings (22 % aller Emissionen), von denen sich zweifellos ebenfalls ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Ratings im Vergleich zum Emissionszeitpunkt verschlechtert hatte.
Wenn sich Ratings teilweise in wenigen Monaten auf breiter Front und überdies in dramatischem Ausmaß verschlechtern, sind auch die Verlierer identifiziert: Die Anleger. Denn Insolvenzquoten in einem Ausmaß, das vormals allenfalls aus der Venture Capital-Ecke oder von Business Angels im Rahmen von Start-Up-Finanzierungen bekannt war, waren mit den vermeintlich soliden Geschäftsmodellen des Rückgrats der deutschen Wirtschaft nicht in Einklang zu bringen.
Daher ist die Entwicklung der Ratings aus Anlegersicht ausgesprochen kritisch einzuschätzen, auch wenn das Rating nur als eines von mehreren Entscheidungskriterien in der Gesamtschau eines Investors betrachtet werden sollte. Werden Ratings massenhaft heruntergestuft, stellt dies die Glaubwürdigkeit des Systems in Frage. Einmal, weil die mit der Emission verbundenen Nominalverzinsungen zwar zum Initialrating gepasst hatten, nicht jedoch den Folgeratings, was erhebliche Kursverluste zur Folge hatte. Zum anderen, weil gerade die in ihrer Selbsteinschätzung oft konservativen Anleihezeichner eine Speculative-Grade-Anleihe gar nicht erst gezeichnet hätten.
Mangelnde Transparenz ist gar nicht das Problem
Da hilft es nichts, dass manche Börsen etwa durch die Einführung von „Best Practice Guides” als Handlungsempfehlung für die Emission von Unternehmensanleihen im Freiverkehrssegment reagiert haben. Auch die von der Deutschen Börse angestrebte Professionalisierung des Marktes ist ein löbliches Ziel: Doch die fehlenden Transparenzstandards waren nicht insolvenzursächlich.
Damit Mittelstandsanleihen zu alter Größe zurückkehren, muss die Glaubwürdigkeit des Emissions- oder Emittentenratings wiederhergestellt werden. Ob dies mit den bisher in Deutschland vertretenen Ratinghäusern gelingen wird, kann bezweifelt werden. Vielversprechender wäre es, wenn auch am Markt für Mittelstandsanleihen dieselben Spielregeln gelten wie etwa bei Hochzinsanleihen, mit denen ohnehin eine Reihe von Gemeinsamkeiten bestehen: Ein Rating durch eine der drei etablierten Ratingagenturen.
Fraglich ist nur, ob die Emittenten den damit verbundenen Kostenaufschlag tragen wollen.
Peter Thilo Hasler,
Gründer und Analyst von Sphene Capital GmbH
Foto: pixabay.com
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