Ist es moralisch vertretbar, Griechenland zu retten? – Kolumne von Marius Hoerner, Hinkel & Cie. Vermögensverwaltung AG

Donnerstag, 18. Juni 2015
marius_hoerner_groß_21012014 Anleihen Finder Kolumnist Portfolio Artus Asset Management AG

Grundsätzlich müsste man davon ausgehen, dass die Griechen auf die Straße gehen und mit „Mann und Maus“ gegen das Vorgehen der eigenen Regierung protestieren. Schließlich geht es in den Verhandlungen mit den Geldgebern um die Zukunft des Landes und somit auch um die Zukunft jedes einzelnen Bürgers.

Dem ist aber nicht so. Ganz im Gegenteil. Die Kreditgeber sind ganz offensichtlich Schuld an der Misere und wenn schon protestiert wird, dann geht es gegen „die Hand, die füttert“.

Eine Erklärung für dieses Verhalten liefert „die Welt“ in der Ausgabe vom 17. Juni 2015:

Oft bankrott

„Von 1830 bis heute war Griechenland mehr als die Hälfte der Zeit nicht kreditwürdig. Viermal in nicht einmal 200 Jahren ging der Staat bankrott: 1843, 1860, 1893 und 1931. Eine solche Gesellschaft fürchtet die Zahlungsunfähigkeit nicht. Ihre Bürger wissen: Es wird schon weitergehen. Nie stehen sie im fahlen Licht der Apokalypse. Untergang ist Ansichtssache!“

Ein anderes Thema, dass noch vor kurzem die Nachrichten dominierte, ist im Zuge der Absurditäten der Griechenlandkrise völlig in den Hintergrund geraten. Der Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer.

„Die Zeit“ schrieb am 30. Mai 2015 über mehr als 4.000 Menschen, die aus Seenot gerettet wurden. Und weiter:„(…) Seit Beginn des Jahres trafen bereits mehr als 40.000 Flüchtlinge in Italien ein. Viele von ihnen flohen vor dem Bürgerkrieg in Syrien oder vor Armut und Unterdrückung in Eritrea. Über 1.770 Menschen starben bei dem Versuch, über das Mittelmeer Europa zu erreichen.“

Vergleich

Definitiv gibt es keinen kausalen Zusammenhang zwischen der Krise in Griechenland und dem Drama der Flüchtlinge. Aber ein monetärer und moralischer Vergleich sei erlaubt.

Die Schulden Griechenlands bei der europäischen Staatengemeinschaft, der EZB und dem IWF belaufen sich bis dato auf rund 320.000.000.000 Euro (320 Milliarden). Zieht man die EZB ab, verbleiben etwa 240.000.000.000 Euro (240 Milliarden). Eventuell liegen die Zahlen sogar etwas höher, aber in diesen Tagen ist man ja bei Kleinigkeiten großzügig.

Den Zahlen „der Zeit“ folgend sind in den ersten fünf Monaten des Jahres 40.000 Flüchtlinge in Italien eingetroffen und 1.770 Menschen mussten bei der Überfahrt ihr Leben lassen. Positiv denkend darf man davon ausgehen, dass es bis zum Ende des Jahres rund 80.000 Flüchtlinge sind und 3.000 Tote.

Von den 240 Milliarden Euro für Griechenland entfallen 28% auf die Bundesrepublik Deutschland. Das sind rund gerechnet 67 Milliarden Euro.

Grundsätzlich ist es selbstverständlich, dass die Staatengemeinschaft einspringt, wenn Mitglieder in Not geraten. Daraus hat sich in der Vergangenheit der Begriff der P.I.I.G.S. Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien) gebildet. Der springende Punkt ist jedoch, dass alle diese Staaten sich bemüht haben, die Krise zu meistern. Mal mehr, mal weniger erfolgreich, aber mit politischem Willen und unter massiven Einschränkungen für die Bevölkerung. Alle außer Griechenland. Dort gehen Beamte nach wie vor mit 56 Jahren in Pension, da wird weiter fleißig jeder mögliche Euro schnellstens im europäischen Ausland vor dem Zugriff der eigenen Regierung in Sicherheit gebracht, der Militärhaushalt ist weiterhin doppelt so hoch wie im Schnitt der anderen europäischen Staaten und und und …

Stillstand

Erkennbar ist das nicht erst seit zwei Wochen sondern seit zwei Jahren. Alle Bemühungen der Troika sind gescheitert, und obwohl man Griechenland bereits über die Maßen entgegengekommen ist, bewegt man sich in Athen keinen Schritt auf die Gläubiger zu.

Das Flüchtlingsdrama ist zwar seit zwei Wochen kaum noch Thema in der Presse, war aber schon vor zwei Jahren bekannt.

Von „hätte“ und „wenn“ kann man sich nichts kaufen und schon gar keine Menschen retten. Aber man kann und muss aus der Vergangenheit lernen und sich ernsthaft die Frage stellen, ob die Regierung in Athen, egal was sie zusagt oder unterschreibt, wirklich bereit ist zu handeln, und wie lange es sich die übrigen Europäer leisten wollen, immer und immer wieder vorgeführt zu werden.

Sind die Milliarden bei den Flüchtlingen besser investiert? Moralisch bestimmt. Und wirtschaftlich?

Nimmt ganz Europa lediglich 25% der 67 Milliarden Euro, die Deutschland bisher in Griechenland investiert hat, für die Flüchtlingshilfe sind das 16,75 Milliarden Euro. „Investiert“ Europa in jeden Flüchtling im Durchschnitt fünf Jahre lang 1.000 Euro pro Monat und zusätzlich 3.000 Euro für die Rettung, ergibt das einen Schnitt von 63.000 Euro für Integration, Sprache und Ausbildung. Das Geld würde für 265.873 Flüchtlinge reichen.

Zu wenig

Wer jetzt argumentiert, dass 63.000 Euro zu wenig sind, hat vielleicht recht, sollte sich aber im Vergleich mal die Hartz IV-Sätze ansehen. Darüber hinaus steht die wirtschaftliche Betrachtung auch nicht im Vordergrund, sondern die Moralische. Die positiven wirtschaftlichen Auswirkungen ergeben sich zwangsläufig, wenn aus Flüchtlingen ausgebildete Arbeitnehmer werden, die die jeweilige Landessprache beherrschen.

Nimmt man weitere 25%, also nochmal 16,75 Milliarden Euro aus dem gemeinsamen Topf, ist Europa sogar in der Lage, die Situation in den Heimatländern der Flüchtlinge soweit in die richtige Richtung zu bewegen, dass die Zahl der Einwanderer eher kleiner als größer wird.

Die Politik ist gefordert, Entscheidungen zu treffen. Schwarze Schafe gibt es in vielen Familien und in den meisten Fällen werden sie enterbt.

Marius Hoerner

Portfolio Manager
Hinkel & Cie. Vermögensverwaltung AG

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Kommentare

  1. Wolfgang Orth

    Herr Hoerners Aussage setzt voraus, dass Politiker in der Lage sind, final, also vom Ende her, zu denken. Der unternehmerische Horizont, der sich über 10 Jahre und mehr erstreckt wird ersetzt durch den Horizont der (eigenen) Legislaturperiode von vier bzw. fünf Jahren.Die simple Frage, „Wo stehe ich eignetlich, falls mein Vorhaben funktioniert ?“ wird genau so wenig gestellt wie die Frage: „Was mache ich, wenn mein Vorgaben völlig fehlschlägt?“.
    Die Antwort auf die letzte Frage müssen in aller Regel die an der Entscheidung nicht beteiligten Bürger geben, die via Steuern und unsolider Haushaltsführung.die Zeche zahlen müssen. Die Aufforderung an die Politik, zu entscheiden, kann ich daher weder nachvollziehen noch unterstützen, schließlich waren und sind die Fakten der griechischen Haushaltslage der letzten 200 Jahre allen Entscheidern bekannt.
    Wir dürfen nicht auf „die Politik“ warten, die so oft gezeigt hat, dass sie es nicht kann. Wir müssen entweder selbst handeln und die Dinge ändern oder aber dafür sorgen, dass wir als Bürger nicht mehr für schlechte Entscheidungen „der Politik“ in Haftung genommen werden können. Am besten ist es, beide Optinonen wahrzunehmen.

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