„Keine Angst, Mario!“ – Von großen Trends und großen Sünden

Freitag, 25. November 2016


Kolumne von Thilo Müller:
Liebe Leser, man hatte es schon fast nicht mehr für möglich gehalten: Die Zinsen steigen! Im Oktober begann sich eine Trendumkehr bei den Zinsen zu verfestigen, obwohl die EZB im selben Monat im Rahmen des QE-Programmes Anleihen im Rekordvolumen kaufte. Durch die Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten verstärkt sich dieser Trend. In der ersten Ansprache nach seiner Wahl setzte Trump klare Zeichen für eine Stärkung der US-Konjunktur. „Lasst uns nun unsere maroden Schulen, Krankenhäuser, Brücken und Straßen wieder aufbauen!“, waren seine ersten Worte. Als Immobilien-Experte sind diese Äußerungen umso glaubhafter, dass hier auch nach Ankündigungen Taten folgen. Die Inflationserwartungen für die USA haben sich umso mehr nach oben entwickelt. Eine Zinserhöhung der US-Notenbank Fed, die bis zur US-Wahl nicht an der Zinsschraube drehen wollte, ist nun für Dezember ausgemachte Sache.

Anders sieht es im Euroraum aus. Für Dezember erwarten die Marktteilnehmer Informationen von der EZB, wie diese mit ihrem Anleihekaufprogramm – das zumindest nach heutigem Stand zunächst bis Ende März 2017 begrenzt ist – weiter verfährt: Abrupt beenden, verlängern, verlängern mit abnehmenden Volumen oder verlängern mit zunehmendem Volumen und eine Erweiterung der Käufe auf die Aktienmärkte.

EZB-Bilanz

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise ist die EZB-Bilanz von 1,2 Billionen Euro Anfang 2007 auf aktuell mehr als 3,5 Billionen Euro angeschwollen. Grund dafür ist insbesondere das jüngste QE-Programm von März 2015, was zunächst mit einem monatlichen Anleihekaufvolumen von 60 Milliarden Euro im April 2016 auf 80 Milliarden Euro erhöht wurde. Vorher war der EZB-Kurs trotz des damaligen Zinstiefs schon fast restriktiv, ohne Absicht der EZB. Dies lag an der Endfälligkeit der Staatsanleihen, die in den Krisenjahren 2010, 2011 und 2012 gekauft wurden, weil man damals nur Papiere mit einer maximalen Laufzeit von drei Jahren erwarb. Ohne weitere Käufe und über die Endfälligkeit schmolz die EZB-Bilanz wieder ab, ehe dann das neue Programm im März 2015 startete.

Mit anderen Worten: Das jetzige Anleihekaufprogramm hätte man schon viel früher starten müssen. Und nun befindet sich die Geldpolitik der EZB im Grenzbereich, in dem mittlerweile die Nachteile der Maßnahmen die Vorteile neutralisieren und ins Gegenteil verkehren. Das sieht man ganz besonders beim so oft gescholtenen Finanzsektor. Das Bankensystem verliert durch die negativen Einlagenzinsen eine Ertragssäule und wird massiv dauerhaft geschwächt. Weniger Erträge bedeuten weniger Eigenkapitalbildung, was zu einer gebremsten Kreditvergabe führt. Aber genau an diesem Punkt hakt es ja im Euroraum.

„Etwas zu spät“

6515955745_b9d855e47a_zMario Draghi ist meiner Meinung nach wiederholt „etwas zu spät“, zumal auch die Inflationsrate im Euroraum allein basisbedingt im Februar 2017 das Potential hat, sich dem Inflationsziel der EZB von 2% zu nähern. Genauso denken auch die Devisenmärkte: Der US-Dollar wertet gegenüber dem Euro massiv auf. Also keine Angst, Mario! Zumindest von den negativen Einlagenzinsen sollte sich die EZB so schnell wie möglich verabschieden. Das Anleihekaufprogramm sollte dann nach März 2017 sukzessive kleiner werden, um dann im Jahresverlauf vollständig auszulaufen. Mal sehen, was verkündet wird.

… und was bedeutet das für Mittelstandsanleihen?

Die oben beschriebenen Trends bei der Zinsentwicklung sind für die Anleihen in diesem Segment eigentlich nicht so wichtig. Sie haben bestenfalls einen Signalcharakter. In diesem Marktsegment geht es um viel wichtigere Dinge für den Investor: Seriosität, Glaubwürdigkeit, Transparenz und die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells. Wenn man aber sieht, wie Vertrauen massiv mit teilweise krimineller Energie zerstört wurde, treibt es einem die Tränen in die Augen. Eigentlich hätte das Segment Mittelstandsanleihen seine Berechtigung.

Aber wenn man die neuen veröffentlichten Details zu KTG Agrar vom vergangenen Wochenende (FAZ) liest, wird es einem übel. Zumal KTG Agrar im April 2016 noch mit großem „Tam Tam“ seinen Zukunftstag in der Alten Oper Frankfurt ausrichtete. Zu diesem Anlass wurde extra Bundespräsident a.D. Wulff engagiert. Alles auf Kosten der Aktionäre und Gläubiger. Aber auch der ehemalige Chef von Steilmann läuft trotz geschäftlichem Schiffbruch wie ein Pfau durch die VIP-Räume von Borussia Dortmund. Der ehemalige Chef von German Pellets jettete auch nach der Insolvenz weiter durch die Welt. Bei Wöhrl ist der Ruf der Familie keinen Pfifferling wert, man lässt lieber die Bondholder bluten als sich seinen guten Ruf in der Region zu sichern. Und selbst vermeintlich narrensichere Geschäfte im Immobilienbereich mit besicherten Anleihen werden „verdilettantiert“ wie jüngst das Beispiel GEWA zeigt. In einer freien Marktwirtschaft darf man auch scheitern, aber so?

 … und was sind Testate von Wirtschaftsprüfern wert?

Hoffentlich werden alle diese Fälle von BaFin und Staatsanwaltschaft aufgeklärt und vor Gericht gebracht. Natürlich könnte man sagen: „Ein Glück hat Mario Draghi keine Mittelstandsbonds gekauft!“ (Obwohl er die Abschreibungen bei der Größe seiner Bilanzsumme hätte am besten verkraften können…). Aber es leiden wieder einmal die Ehrlichen, die Aufrichtigen und die Aufgeschlossenen auf Investoren- sowie auf Emittentenseite!

Thilo Müller
Geschäftsführer, MB Fund Advisory GmbH

Titelfoto: Kiefer/ flickr.com

Beitragsfoto: INSM/ flickr.com

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