KMU-Anleihemarkt: Zeichen der Zeit erkennen
Ein Beitrag der Quirin Privatbank-Redaktion. Zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen haben die Anleihe als attraktive Finanzierungsalternative wiederentdeckt – und zwar aus guten Gründen. Unternehmen, die ebenfalls mit dem Gedanken einer Anleiheemission spielen, sollten ihr Vorhaben im Idealfall nicht mehr allzu lange vor sich herschieben.
Die Europäische Zentralbank (EZB) hat das Ende des größten geldpolitischen Experiments in ihrer zwanzigjährigen Geschichte eingeläutet. Auf ihrer Sitzung am 14. Juni haben die Währungshüter angekündigt, das Anleihekaufprogramm Ende des Jahres auslaufen zu lassen; zuvor wird das aktuelle Kaufvolumen von monatlich 30 Milliarden Euro ab Oktober auf 15 Milliarden Euro reduziert. Unter dem Strich hat die Notenbank vom Beginn des Programms im März 2015 bis zum Jahresende 2018 Anleihen mit einem Volumen von über 2,6 Billionen Euro gekauft. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben von diesem gigantischen Kaufprogramm allerdings nicht profitiert, im Gegenteil. Die EZB kaufte und kauft ausschließlich Bonds von großen und bonitätsstarken Konzernen – und hat somit den Großunternehmen sogar Geld in die Hand gegeben, mit dem diese sich im Zweifelsfall auch kleinere Wettbewerber aus dem Mittelstand einverleiben können.
Tal der Tränen durchschritten
Der niedrige Leitzins, der im Euroraum bereits seit März 2016 auf dem historischen Tief von 0 Prozent verharrt, kommt hingegen auch den KMUs zugute, bietet dieses Zinsniveau doch auch kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit, sich günstig am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Zahlreiche Unternehmen wie etwa die Neue ZWL Zahnradwerk Leipzig GmbH haben diese Chance zuletzt auch durch die Begebung einer Unternehmensanleihe genutzt. Summa summarum sind bis Mitte Juni dieses Jahres schon 18 KMU-Anleihen platziert worden. „Richtig ist zwar, dass Mittelstandsanleihen in der Vergangenheit nicht immer die Erwartungen der Unternehmen und Investoren erfüllen konnten. Richtig ist aber auch, dass sich der noch junge Markt der KMU-Anleihen erholt hat – und zuletzt weitaus mehr Refinanzierungen mittels einer Anleihe getätigt worden sind, als allgemein vermutet wird“, erklärt Thomas Kaufmann, stellvertretender Leiter Corporate Finance bei der Quirin Privatbank.
Finanzierung diversifizieren
Beim Gros der KMUs steht aber nach wie vor der klassische Bankkredit ganz oben auf der Finanzierungsliste. Und dies, obwohl mit dieser einseitigen Finanzierungsform zahlreiche Gefahren einhergehen. Zum einen wird die mit „Basel III“ eingeführte, schärfere Eigenkapitalunterlegung dazu führen, dass es Banken deutlich erschwert wird, Kredite an Mittelständler zu vergeben. „Dass Banken Darlehen teilweise nun projektbezogen vergeben und Betriebsmittelkredite häufig nur bis auf Widerruf gewähren, ist ein weiterer Grund, weshalb KMUs ihre Finanzierung auf mehrere Schultern verteilen sollten“, so Experte Kaufmann. Auch eine erneute Banken- und Finanzkrise sollten Firmenlenker nicht ausschließen – und die damit einhergehende restriktivere Kreditvergabe der Banken. Unternehmensanleihen als zusätzlicher Finanzierungsbaustein reduzieren nicht nur die Abhängigkeit von Banken, sie garantieren Emittenten auch eine Flexibilität in der Mittelverwendung. Zudem ermöglichen sie die Finanzierung des nationalen und internationalen Wachstums sowie möglicher Übernahmen. Dass Emittenten mit der Begebung einer Unternehmensanleihe Finanzierungs- und Planungssicherheit über die Laufzeit der Anleihe haben, spricht ebenfalls für dieses Finanzierungsinstrument. Die Etablierung eines zusätzlichen Investorenzugangs sowie die Stärkung der eigenen Position gegenüber Banken bei künftigen Darlehensverhandlungen können sich für Unternehmen ebenfalls bezahlt machen. Und was mittelständischen Unternehmen besonders am Herzen liegt: „Aufgrund des Fremdkapitalcharakters ist der Erhalt der wirtschaftlichen Selbstständigkeit gewährleistet“, weiß Thomas Kaufmann.
Chancen für Unternehmen und Investoren
Nicht nur für Unternehmen bieten Anleihen attraktive Chancen, auch Investoren profitieren davon, dass der Markt der KMU-Anleihen an Reife und Sicherheit gewonnen hat. So ist die Anzahl der Unternehmen, die ihre Anleihe nicht bedienen können, im Vergleich zu vergangenen Zeiten kräftig gesunken. Während etwa im Jahr 2016 noch 17 Anleihe-Defaults zu beklagen waren, ist im bisherigen Jahresverlauf lediglich ein Default zu verzeichnen. Sehen lassen kann sich auch die Rendite von KMU-Anleihen, die – abhängig von der Laufzeit und der Bonität des Emittenten – zwischen rund 3 bis 6 Prozent liegt. Die Gefahr, dass Unternehmen, die mit dem Gedanken einer Anleiheemission spielen, auf ein zu geringes Investoreninteresse stoßen, ist somit recht überschaubar. Auch vom für viele Mittelständler schwer einzuschätzenden administrativen Aufwand einer Anleiheemission sollten sich Interessenten nicht abschrecken lassen, zumal die Emissionsbank den nahezu gesamten Emissionsprozess koordiniert. „Vom ersten Gespräch bis zur Platzierung kann die Emission einer KMU-Anleihe im Rahmen eines öffentlichen Angebots innerhalb von etwa vier bis fünf Monaten abgeschlossen sein“, sagt Thomas Kaufmann.
Wann, wenn nicht jetzt?
Allzu lange sollten interessierte Unternehmen ihre mögliche Anleiheemission aber nicht mehr vor sich herschieben. Denn bereits Mitte des kommenden Jahres könnten sich die derzeit exzellenten Rahmenbedingungen ein wenig verschlechtern. Grund: Auf der EZB-Sitzung vom 14. Juni wurde nicht nur das Ende des Anleihekaufprogramms angekündigt, sondern auch eine Leitzinsanhebung für Mitte 2019 in Aussicht gestellt.
Quirin Privatbank Redaktion
Foto: pixabay.com
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