„MiFID II – Anlegerschutz tötet Wertpapieranalyse“ – Kolumne von Peter Thilo Hasler
Beherrschendes Thema des diesjährigen Frankfurter Eigenkapitalforums war MiFID II. Hinter dem Akronym verbirgt sich die EU-Richtlinie 2004/39/EG zur Harmonisierung der Finanzmärkte im europäischen Binnenmarkt (englisch: Markets in Financial Instruments Directive, kurz MiFID), und die hat es in sich: Ab Januar 2018 dürfen Wertpapierunternehmen, die unabhängige Anlageberatung oder Portfolioverwaltungsdienstleistungen erbringen, Unternehmensanalysen, Branchenreports und Marktberichte nicht mehr entgegennehmen, ohne dafür zu bezahlen. In den Augen der EU-Parlamentarier stellt Research nämlich eine Zuwendung dar, deren Annahme verboten werden muss.
Broker, die ihre Reports jahrzehntelang „kostenlos“ verschickt haben, müssen nun ein Preismodell einführen, das von der Order-Execution unabhängig ist. Den Vermögensverwaltern als Adressaten der Research-Berichte bleibt folglich die Wahl, (1) auf externes Research zu verzichten bzw. dieses durch ein eigenes Buy-Side-Research zu ersetzen, (2) die eingekauften Research-Dienstleistungen von einem separaten Analysekonto zu begleichen und auf die jeweiligen Kunden zu überwälzen oder (3) die damit verbundenen Kosten selbst zu tragen. Da das Führen eines Research Payment Accounts umfassende Folgepflichten verursacht und sich einige prominente Fondsmanager bereits medienwirksam für die Bezahlung der Research-Kosten aus eigenen Mitteln entschieden haben, dürfte sich in der dritten Wahlmöglichkeit der Normalfall etablieren.
Research-Reports
Allerdings stehen die Einkäufer von Research nun vor der Entscheidung, mit welchen Partnern sie zukünftig ihre Research-Bedürfnisse befriedigen können. Denn angesichts der Kosten – die Preisvorstellungen für den reinen Bezug von Research-Reports ohne einen telefonischen oder persönlichen Zugang zu den Analysten oder zu sonstigen Premium-Leistungen liegen je nach Qualität der Broker zwischen 10.000 und 50.000 Euro pro Jahr – wird eine Selektion der Research-Provider unausweichlich.
Während hochwertiges Research bekannter Namen nach wie vor eingekauft werden wird, müssen sich nicht nur Broker mit eher durchschnittlicher Research-Qualität oder reinen Me-too-Produkten, sondern auch kleinere, weniger bekannte Häuser darauf einstellen, dass ihre Dienstleistungen nicht länger nachgefragt werden. Gegen eine dadurch ausgelöste Marktbereinigung ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Auch den Verantwortlichen der EU war sicherlich bewusst, dass durch MiFID II die Anzahl der Research-Häuser zurückgehen wird. Schätzungen zufolge werden die globalen Einsparungen auf das Research-Budget in einer ersten Stufe bei etwa 1,5 Mrd. USD liegen. Sollte sich sogar ein weltweiter Preiskampf einstellen, ist sogar von bis zu 3 Mrd. USD die Rede. Diese Einsparungen werden mit einem massiven Stellenabbau in der Branche verbunden sein.
Dabei war Research, und das ist der größte Trugschluss, nie ein „öffentliches Gut“, das von den Anbietern kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Die Bezahlung erfolgte über den Umweg umsatz- bzw. volumenabhängiger Handelskommissionen, die für die Bereitstellung von Research-, Beratungs- und Execution-Dienstleistungen veranschlagt wurden. Mit der Einführung von MiFID II wird sich Research jedoch zu einem zusätzlichen Fixkostenblock wandeln, der Jahr für Jahr von den Einkaufsabteilungen der Vermögensverwalter überprüft werden wird. Es ist zu befürchten, dass zukünftige Kosteneinsparmaßnahmen in Zyklus-Tiefs ausgerechnet zu Zeitpunkten vorgenommen werden, zu denen Research für die Performance von Fondsmanagern und Anlegern am dringendsten gebraucht wird.
Weniger Informationen
Zugleich wird die Informationsvielfalt abnehmen, da sich vor allem die kleineren Research-Häuser mangels ausreichenden Fundings aus dem Markt verabschieden und sich die verbleibenden Research-Anbieter auf die Coverage der renommierten Large Caps zurückziehen werden. Auf der Strecke bleiben Unternehmen, deren Aktien bzw. Anleihen relativ illiquide sind und deren analytische Begleitung die Käufer von Research (also Asset Manager) nicht lauthals fordern. Diese Wertpapiere werden zukünftig noch weniger analysiert, was die ohnehin zu beobachtende Polarisierung der Kapitalmärkte weiter forcieren wird: Überanalysierte Large Caps auf der einen Seite, vernachlässigte Nebenwerte auf der anderen. Nicht der Stellenabbau, sondern diese absehbare Vernachlässigung der Nebenwerte ist es, die uns beunruhigen sollte. Für die Unternehmen führt eine Vernachlässigung an der Börse und die damit ausgelöste Fehlbewertung zu steigenden Kapitalkosten und damit zu einer Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit. Dabei wäre für den Mittelstand in Zeiten einer eingeschränkten oder verzögerten Kreditvergabebereitschaft seitens der Banken ein ausreichendes Eigen- oder Fremdkapital-Funding über den Kapitalmarkt wichtiger denn je.
Peter Thilo Hasler,
Gründer und Analyst von Sphene Capital
Titelfoto: pixabay.com
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