Kapitalmarkt-Standpunkt: Glaskugel (Teil 2)

Mittwoch, 24. Januar 2024
Glasskugel


Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG:

Rückspiegel (Teil 1) und Glaskugel (Teil 2)

Auch die mwb möchte im Januar des neuen Jahres etwas verändern. Den aufmerksamen Verfolgern unseres Standpunktes ist sicherlich aufgefallen, dass im Dezember eine Weihnachtsruhe herrschte. Unser Motto: Mit voller Kraft ins neue Jahr zeigt sich auch dadurch, dass heuer (2024) im Januar der Standpunkt zweimal erscheint und inhaltlich ein Fortsetzungs-Standpunkt ist.

Der zweite Teil unseres Standpunktes versucht die Zukunft, das Jahr 2024, richtig zu deuten. Gerade 2024 werden wir alle nicht nur auf geopolitische Aggressoren, sondern auch auf die unterschiedlichsten nationalen und internationalen Wahlen verbunden mit lauten Wahlkämpfen achten müssen

Neben dem Hochwasser in Deutschland ist ein Großthema mit ins neue Jahr geschwemmt worden, was noch sicherlich tiefe Schleifspuren in Bilanzen und Innenstädten hinterlassen wird: Die Pleite der Signa-Gruppe und welche Unternehmen und Privatpersonen auf den möglicherweise betrügerischen Ansatz – das werden die Gerichte klären müssen – von René Benko hereingefallen sind. Es zeigt sich aber gerade, dass neben den unterschiedlichsten Banken auch das Who-is-Who der deutschen Versicherer seine Händchen im Spiel hat. Genannt werden hier u.a. die Ergo (Münchner Rück-Gruppe), Signal Iduna und R+V. Nach Kenntnis der BaFin sind 46 (!) Versicherungsunternehmen „gegenüber der Signa-Gruppe exponiert“. Man munkelt mehr als drei Mrd. EUR stehen allein bei den deutschen Versicherern im Feuer. Ob da die Gesamtsumme der Pleite von gerüchteweisen 14 (!)Mrd. EUR hoch genug angesetzt ist?

Die Auswirkungen des Bundesverfassungsgerichtsurteils zum Nachtragshaushalt 2021, mit welchem die Bundesregierung versuchte, noch vorhandene 60 Mrd. EUR aus dem Corona-Sondertopf in einen Klimafonds umzuwidmen, sind auch Anfang des Jahres 2024 noch deutlich spürbar. Die Förderung von Elektrofahrzeugen wurde radikal von heute auf morgen eingestellt und wird den Verkauf solcher Fahrzeuge spürbar beeinflussen. Wie schon in der Solarindustrie droht Deutschland eine gute Marktposition dann zügig nach Asien zu verlieren. Wohlgemerkt: In Der AUTOMOBILINDUSTRIE. Aber die deutsche Industrie wehrt sich: Die DAX-Unternehmen haben im letzten Jahr europaweit die höchsten F&E-Investitionen vorgenommen – ganz vorne dabei die Automobilindustrie. Teile der Bundesregierung versuchten in den Haushaltsverhandlungen im Dezember eine Notlage zu kreieren – Themen: Ukraine-Krieg und das Jahrhundert-Hochwasser an der Ahr -, um die Schuldenbremse erneut wie bei Corona aussetzen zu können. Im Dezember scheiterten diese Interessengruppen.

Unsere Prognose: Die Schuldenbremse soll nun Bestand haben. Trotzdem wird es einen Fonds geben, der den Wiederaufbau in den betroffenen Gebieten unterstützt. Natürlich ausschließlich energetisch und klimafreundlich. Und der Deichbau? „Wer nicht will deichen, der muss weichen“ wussten schon die alten Friesen und meinten aber nicht, dass das Wasser die Menschen vertreiben würde. Sondern es wurde Menschen das Land abgenommen, die sich nicht an der Pflege der Deiche beteiligen wollten. Wer das aus Unvermögen oder gar mutwillig trotz Mahnung und Anhalten nicht tat, verlor letztlich sein Land. Als sichtbares Zeichen wurde ein Spaten in den entsprechenden Deichabschnitt gesteckt. Das Land ging, nebst der damit verbundenen Rechte und Pflichten, an denjenigen über, der den Spaten herauszog.

Wir müssten einen ganzen LKW voll symbolischer Spaten bestellen, wenn wir die offenen Themen alle so vor Augen haben.

In der Ampel verlassen jedenfalls die ersten Protagonisten das sinkende Schiff was bei den Umfragewerten nicht überrascht. So kandidiert Agnes Strack-Zimmermann nun bei der nächsten Europawahl als Spitzenkandidatin.  

Das Thema Zinspolitik und Inflation wird uns selbstverständlich auch im Jahr 2024 begleiten. Die Märkte irrlichtern gerade, wann es denn nun runtergeht. Frau Lagarde hat hier zuletzt wieder für etwas Klarheit gesorgt. Die letzten 1,5 Jahre hat es zwei Gruppen hart getroffen. Die Immobilienindustrie und die potenziellen Bauherren oder zumeist auch gleichzeitig Wohnungssuchenden. Es steht noch immer die nicht widersprochene ZIA-Prognose im Raum, dass Ende 2024 mindestens 1,4 Mio. Bürger ohne Wohnung dastehen. Wir vermuten, dass die EZB ihre Zinspolitik konservativ im Laufe des Jahres auf einem ähnlichen Niveau einpendelt, wie bisher und allerfrühestens ab Sommer 2024 eine moderate Zinsreduktion vornehmen wird – denn „die neue 2 heißt 4“. Das bedeutet aber auch, dass die Zinsen für Baukredite 2024 auch weiterhin zwischen 3,0% bis 4,0% liegen werden.

Definitiv wird das Jahr 2024 in Deutschland politisch und damit auch wirtschaftlich geprägt sein von drei Landtagswahlen in Ostdeutschland. Die Bürger Sachsens, Thüringens, und Brandenburgs werden im September an die Urnen gerufen. Allgemein wird der Untergang des Abendlandes propagiert, weil die rechtspopulistische AfD in allen drei Bundesländern die Chance hat die stärkste Partei zu werden, vielleicht sogar absolute Mehrheiten zu gewinnen. Die desaströsen Umfragen in diesen Bundesländern sind eine deutliche Quittung für verfehlte Kommunikation und schlecht gemachtes gut gemeintes. Führung wurde bestellt, aber sie kam nicht und so ging es schief. Leider rutscht der politische Diskurs so schnell von der sachlichen Debatte in reine Wut und Demagogie das man sich nur die Augen reiben mag, wie wenig Wert manche Menschen auf die Demokratie legen. „Denk ich an Deutschland in der Nacht“ textete Heinrich Heine einst.

Zwei Dinge sollten hierbei aber beachtet werden. Rein formal: Die drei ostdeutschen Bundesländer haben zusammen 8,8 Mio. Einwohner – NRW allein hat 18,1 Mio. Einwohner. Dennoch: Es darf nicht geschehen, dass nach Wahlen immer wieder vom „dummen Wähler“ gesprochen wird, der nicht weiß, was er tut. Themen liegen auf der Straße und werden verdrängt. Jeder weiß, dass die AfD keine Lösungen bietet, aber Sie spricht das aus, was viele Menschen denken.

Was passiert, im Wahlkampf? Die etablierten demokratischen Parteien werden versuchen, möglichst viele wirtschaftliche „Wohltaten“ mit staatlichen Geldern in die drei Bundesländer zu verteilen. In Sachsen bietet sich z.B. das Hochwasser und die Abwicklung der Schäden dafür durchaus an. Ob der Wähler das noch goutiert, darf aber bezweifelt werden.

Wahrscheinlich erscheint es daher nicht, dass der Erdrutsch nach rechts verhindert werden kann. Die AfD ist für viele Wähler aber eine Mogelpackung. Sie ist nicht die Partei der Schwachen, sondern der wohlhabenderen Leute.

Für eine Exportnation mit weitreichenden internationalen Verbindungen und einem hohen Bedarf an ausländischen Fachkräften ist das eine Katastrophe. Von der Remigrations-Konferenz ganz zu schweigen. Aber wir eifern ja nur dem Verfall der politischen Sitten jenseits des Atlantiks hinterher und die Auswirkungen dieses beginnenden Wahlkampfes spüren die ukrainischen Soldaten bereits jetzt. Und wenn es so bleibt, dann wird es dabei nicht bleiben. Das wird Europa dann schnell merken.

Denn die 60. Wahl zum US-Präsidenten steht Anfang November an. Aller Voraussicht nach kommt es erneut zur Wahlkampfschlacht zwischen dem jungen – erst 77 Jahre alten – Donald „America First“ Trump und dem kaum älteren 81jährigen „Sleepy“ Joe Biden. Momentan sehen die Prognosen für Trump trotz aller nachgewiesenen Straftaten im Amt und nach dem Amt des 45. Präsidenten der USA nicht schlecht aus. Bloß was geschieht dann? Trump kokettiert nicht nur mit umstrittenen Aussagen, was er während seiner Amtszeit bewiesen hat. Auch damals konnte sich Niemand vorstellen, dass er das Gesagte wirklich meint und nicht nur Propaganda macht. Wir erinnern uns an den Bau der Mauer zu Mexiko, die die Mexikaner bezahlen sollten… Nun stellt er für die Zeit nach seiner Wahl offen die Demokratie in Frage und sich selber als Diktator in Aussicht. Bei einer Wahlkampfveranstaltung versprach er, dass er Kommunisten, Marxisten, Faschisten und radikale linke Schläger, die derzeit in den USA lebten, ausrotten werde. Ob es die republikanische Kandidatin Nikki Haley evt. doch schaffen kann? Die Hoffnung stirbt bekanntlich als letztes. 

Was für wirtschaftliche und politische Auswirkungen hätte die „Machtübernahme“ von Trump in den USA zur Folge? Zuerst wird er militärisch Europa den Rücken kehren. Ukraine? Fehlanzeige.  In der Unterstützung Israels wird er auch keinen wirtschaftlichen Vorteil für die USA sehen – also macht die USA eben nicht „great again“. Die NATO in der bisherigen Form steht auf dem Prüfstand. Ein Wirtschaftskrieg mit Europa erscheint wahrscheinlich. Vermutlich wird er China signalisieren, dass ihm Handelsbeziehungen wichtiger sind als der Schutz Taiwans. Trumps world is easy – ein moderner Ableger des Merkantilismus.

Zusammenfassend können wir schon im Januar 2024 festhalten: Es wird sicher nicht langweilig und es liegen viele Schatten auf dem Weg ins Licht voraus.  Die Märkte werden mit entsprechenden Schwankungen reagieren. Anschnallen. Allerdings sind wir Optimisten und glauben, dass am Ende wieder die von uns bereits häufiger zitierte „kölsche Weisheit“ gilt: „et hätt noch immer jot jejange“.

Kai Jordan, mwb Wertpapierhandelsbank AG

INFO: Lesen Sie hier noch einmal den ersten Teil der Doppel-Kolumne von Kai Jordan: Rückspiegel – Teil 1

Foto: pixabay.com

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