Kapitalmarkt-Standpunkt: „Er muss ihn haben!“

Donnerstag, 24. März 2022


Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG:

Deutschland diskutiert. Deutschland ist zwiegespalten. Kann sich die deutsche Volkswirtschaft neben den Auswirkungen von Corona auch noch weitergehende Sanktionen gegen Russland – besser gesagt, gegen einen faktischen Diktator Wladimir Putin – leisten? Riskieren wir damit unseren Wohlstand? Wird die Inflation in ungeahnte Höhen schnellen?

Wir denken, es ist nicht zu bestreiten: Gerade Deutschland hat seine grausamen Erfahrungen mit Autokraten und „gewählten“ Diktatoren gemacht. Die restliche Welt im zweiten Schritt dann ebenso. Hitler-Deutschland wurde zu spät Einhalt geboten. Diesen Fehler hat die Welt bisher bei Putin-Russland nicht gemacht. Zum Glück zeigen sich bis jetzt Europa und die USA weitgehend einig und haben weitreichende Sanktionen verhängt. Aber reichen die aus? Ein Fußball-Bild beschreibt die momentane Lage aus unserer Sicht. Der Torwart sieht den Stürmer auf sich zukommen und entscheidet sich richtigerweise von der Linie nach draußen zu eilen, um ein Tor zu verhindern. Was er auf gar keinen Fall machen darf ist seine richtige Entscheidung zu konterkarieren, indem er stoppt und sich selbst aller Vorteile beraubt.

Wir dürfen nicht den Fehler machen auf halben Weg stehen zu bleiben, weil wir als Europäer Angst haben. Der Rubel hat 40 Prozent seines Wertes gegenüber dem „Prä“ des Aggressionskriegs verloren. Es gibt faktisch keinen russischen Aktienmarkt mehr. Russische Staatsanleihen sind auf Ramschniveau. Die Inflation, die auch gerade die entscheidenden „B-Personen“ trifft, das heißt den russischen Staatsapparat, liegt bei mehr als 20 Prozent.

Deutschland als führender europäischer Staat hat über mehr als ein Jahrzehnt verteidigungspolitisch versagt. Deutschland darf in einem geeinigten Europa nicht nur die führende Wirtschaftsnation sein, sondern muss erkennen, dass das Land für Europa militärische Verantwortung übernehmen muss. Drei CDU/CSU Verteidigungsminister haben uns in diese Bredouille gebracht. Fairerweise muss man festhalten, dass die Etats und die angebliche Reform der Bundeswehr auch mit Unterstützung eines Finanzministers, der heute Bundeskanzler ist, und eines Außenministers, der heute Bundespräsident ist, von der SPD gemacht worden sind. Zusätzlich hat am Anfang dieses Jahrtausends eine SPD-Regierung das stattliche Unternehmen IVG privatisiert, die später im Rahmen der Saal Oppenheim-Insolvenz in Schwierigkeiten geriet. Die IVG war der Eigentümer, der norddeutschen Kavernen, in denen das Gas gelagert wird und war finanziell gezwungen, diese Kavernen an russische Unternehmen zu verkaufen. Es entsteht momentan der Eindruck, dass die wirkliche Richtlinienkompetenz beim grünen Wirtschafts- und Außenministerium ist.

Wir möchten noch einmal auf unser Bild mit dem Torwart zurück kommen. Wir diskutieren darüber, ob wir den Winkel für den Stürmer weiter verkürzen und ihn so am Torschuss hindern. Kann sich Europa – insbesondere Deutschland – leisten auf russisches Öl und Gas zu verzichten? Wird dies Wladimir Putin kurzfristig beeindrucken? Es gibt zwei Zahlen, die wir explizit hervorheben möchten. Sage und schreibe 40 Prozent des Staatshaushaltes Russlands wurden durch Steuereinnahmen auf Gas- und Öl-Exporten im Jahr 2021 erzielt. Jeden Tag vereinnahmt Russland, faktisch Wladimir Putin, durch den Verkauf von Öl und Gas an die Europäer, an Deutschland, 500 Mio. Euro, die er benötigt, um sein Militär und seine Geheimdienste oder den Polizeiapparat zu bezahlen.

Kann es Deutschland sich leisten, auf die russischen Öl- und Gaslieferungen zu verzichten, um nachweislich Putin zu schwächen, zu destabilisieren, vielleicht sogar abzuschaffen? Dazu gibt es verschiedene Studien, die sagen, dass Europa einen schmerzhaften, aber machbaren Einschnitt erlebt, wenn das System Putin zerstört werden soll. Studien von verschiedenen europäischen Denkfabriken gehen davon aus, dass in Europa durch den direkten Verzicht auf russische fossile Energien ein Einkommensverlust von durchschnittlich einem Prozent zu erwarten sei. Die Wirtschaftsleistung Europas würde um zwei Prozent sinken. Es wird prognostiziert, dass Europa ohne russisches Gas den nächsten Winter überstehen wird. Zusätzlich sollten wir alle daran denken, dass wir heute einen Aggressor und einen Diktator in Europa zu bekämpfen haben und heute Maßnahmen ergreifen sollten.

Wir sind überzeugt, dass ein Importstopp von Energieträgern die beste Möglichkeit ist, Putins Angriffskrieg zu stoppen oder zu erschweren und der Russischen Föderation damit die finanzielle Basis zu entziehen. Die Welt steht  im Frühjahr des Jahres 2022 und die Macht, die Wladimir Putin über Europa durch den Export von wichtigen Rohstoffen sodann hat, ist denkbar gering. Wir haben in den letzten Tagen gesehen, dass auch die Verwerfungen am Kapitalmarkt nur kurzfristig waren. Anleger und Investoren schätzen die Lage richtig ein und sind wieder auf einem  soliden Fundament zurück. Jetzt muss nur noch der Torwart den Einschusswinkel entscheidend verkürzen und wir sollten Wladimir Putin tägliche 500 Mio. Euro entziehen. Denn wenn der Torwart rauskommt gibt es nur noch eine Regel: „Er muss ihn haben“!

Kai Jordan, mwb Wertpapierhandelsbank AG

Foto: pixabay.com

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