Kapitalmarkt-Standpunkt: „Neuland“

Mittwoch, 6. Oktober 2021


Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG:

„Das Internet ist für uns alle Neuland“ bemerkte die scheidende langjährige Bundeskanzlerin 2013 anlässlich eines Besuches des damaligen US-Präsidenten Obama und provozierte damit eine Menge kontroverse Diskussionen. Dabei beschrieb sie durchaus die Realität für einen Teil des Landes, aber eben nicht für „alle“. Der Bundestagswahlkampf 2021 hat die Versäumnisse schonungslos zu Tage gefördert.

Und in der Tat wurde in Deutschland abweichend von anderen Ländern noch jahrelang Kupferkabel verlegt und die Telekom profitierte von guten Margen und viel zu hohen Kosten für die längst abgeschriebenen Kupfernetze. Selbst der Bundesverband Breitbandkommunikation kritisierte noch 2019„Die Bundesnetzagentur sollte sich überlegen, ob sie im Glasfaserzeitalter die richtigen Ausbauanreize setzt“, sagte Geschäftsführer Stephan Albers. „Solange die Telekom jede ihrer vollständig abgeschriebenen Kupferleitungen von den Wettbewerbern mit über 11 beziehungsweise 7 Euro entgolten bekommt, hat sie wenig Anreize, in reine Glasfasernetze zu investieren.“

Dieses Beispiel beschreibt nur symbolisch die Vielzahl der Themen, die die nun neu zu bildende Regierung jetzt aufzuarbeiten und zu lösen hat. Die Bundestagswahl war ein gutes Stück weit ein Mandat für Veränderung und gerade das Wahlverhalten der jungen Generation mit sehr hohen Anteilen für Grüne und FDP zeigt auch welchen Parteien man auch zutraut, Motor für dieses Mandat zu sein. Die Umfragen des BVMW Bundesverband mittelständische Wirtschaft bei den mittelständischen Unternehmen zur Zufriedenheit mit der scheidenden Groko waren bereits vor Ausbruch der Pandemie sehr negativ. Keine 10 % der befragten Unternehmen bewerteten die Arbeit bereits in 2019 als gut.

Die beiden kleineren Koalitionspartner Grüne und FDP fordern ja beide Innovationen und die Entwicklungen in der Wirtschaft und im Mittelstand bestätigen dies nicht nur – sie nehmen es vorneweg. Nur über die Wege zum Ziel ist man sich (noch) nicht ganz einig und das liegt natürlich auch an der endgültigen Koalitionsbildung, aber die Hoffnung ist begründet, dass die neue Regierung das Land, in das doch von einigen Parteien strukturell gefürchtete Neuland führt. Gleichwohl kann der interessierte Beobachter am Rande eine spannende Diskussion verfolgen, die zunächst einmal mehr nach parteipolitischem Proporzdenken als nach Aufbruch riecht. Die Wahl des Bundespräsidenten 2022 könnte ein wichtiger Verhandlungspunkt werden. Der geschätzte Frank-Walter Steinmeier hat zwar erklärt wieder zur Verfügung zu stehen, doch respektiere er natürlich auch einen Gegenkandidaten. Damit besetzt die SPD aber mglw. ein Amt, dass eine CDU geführte Jamaika-Koalition auch den Grünen anbieten könnte. Das wäre auch für das Schloss Bellevue völliges Neuland. Für die Führung der durch die Pandemie doch tief gespaltenen Gesellschaft und der großen anstehenden Aufgaben misst der Verfasser der angemessenen Besetzung des Präsidentenamtes diesmal größere Bedeutung zu als sonst.

Was hat das alles nun mit den Kapitalmärkten zu tun?

Nun ja, zunächst mal könnte ein möglichst pfiffiges politisches Vorgehen bei der Lösung der von Steinmeier als „bevorstehenden, riesigen Transformationsprozess in ökologischen Fragen und der gesellschaftlichen Balance“ beschriebenen Herausforderungen eben mit entsprechender Begleitung des Präsidenten nicht nur die dringend benötigte gesellschaftliche Akzeptanz bringen. Sondern bei intelligenter Umsetzung auch entsprechende Innovationsprozesse in der Wirtschaft anstoßen und die Republik ins Neuland führen.

Dass diese Herausforderungen auch große Investitonsvolumina erfordern, hat der Wahlkampf ebenfalls deutlich gemacht. Diese können nicht nur über haushaltspolitische Lösungen oder klassische Bankfinanzierungen dargestellt werden. Vielmehr kann der Kapitalmarkt einen erheblichen Beitrag leisten und auch als guter Filter gegen Fehlallokationen dienen. Und damit den notwendigen Fortschritt aktiv befördern. Da taucht auch schon wieder das nächste Problem am Horizont auf. Das Thema Kapitalmarkt ist in seinen Gesamtzusammenhängen für Außenstehende wie auch viele Politiker doch sehr komplex. Darüber hinaus in der Öffentlichkeit noch durch Skandale wie jüngst Wirecard belastet.

Damit kann man natürlich bei einer Bundestagswahl keinen Blumentopf gewinnen. Und folgerichtig hat es im Wahlkampf und den Programmen der Parteien eigentlich keine Rolle gespielt. Bestenfalls gab es plakative kritische Auseinandersetzung mit Wirtschaftsprüfern und der Bafin und Bekenntnisse zur angestrebten europäischen Kapitalmarkt- oder Bankenunion in den Parteiprogrammen. Nur war Wirecard eben kein Mittelständler. Aber die hektisch ergriffenen Maßnahmen treffen die Kapitalmarktpläne und Aktivitäten von Mittelständlern viel mehr und konterkarieren damit die an vielen Stellen auch regulatorisch eingeforderte Entlastung der KMU. Zumal der Kapitalmarkt bereits heute erfreulicherweise ein wesentlicher Treiber für die Entwicklung der Unternehmen in das Neuland der ESG-Prozesse ist und auch hier bereits die politische Entwicklung nicht nur begleitet sondern sogar vorwegnimmt. Und zwar auch ungeachtet aller Diskussionen und Ermittlungen bezüglich des sogenannten „Greenwashing“.

Obwohl Frankfurt in Kontinentaleuropa weiterhin als wichtigster Finanzplatz gilt, was durch die Präsenz der EZB nun keine Überraschung ist, attestiert eine eilig wieder zurückgezogene Studie: Der Finanzplatz Deutschland ist in den letzten Jahren im internationalen Vergleich stetig zurückgefallen, schreibt Jan Schildbach von Deutsche Bank Research, der volkswirtschaftlichen Abteilung des Instituts. Er verharre seit vielen Jahren „strukturell im Dornröschenschlaf“. Kein anderes größeres Land der Welt habe seine Bankenbranche derart vernachlässigt und ihrer Verzwergung tatenlos zugesehen. Die Bankenbranche sei chronisch wachstumsschwach, strukturell sklerotisch, außerordentlich wenig profitabel und viel zu ineffizient.

Und so konnten wir jüngst u.a. der Börsenzeitung entnehmen, dass „Mainhattan“ im weltweiten Finanzplatz-Ranking der Londoner Denkfabrik Z/Yen Group von Platz 9 auf Rang 14 abgerutscht ist und nicht mehr zu den Top 10 gehört. Wie der jüngste Global Financial Centres Index zeigt, haben die nordamerikanischen und westeuropäischen Zentren ihre Positionen gefestigt. Amsterdam und Paris waren allerdings die einzigen europäischen Städte unter den Top 20, die sich auf bessere Plätze hocharbeiten konnten.

Und hier ist die Achillesferse. Denn wir sehen immer wieder mittelständische Unternehmen, die sich mit dem Thema Finanzierung über den Kapitalmarkt auseinandersetzen. Denn sie stellen fest, dass ihre internationalen Mitbewerber sich an anderen Plätzen frisches Geld besorgen und damit deutliche strategische Vorteile.

Hier ist leider noch kein Neuland in Sicht. Und doch wäre es so wichtig.

Kai Jordan, mwb fairtrade Wertpapierhandelsbank AG

Foto: pixabay.com

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