Kapitalmarkt-Standpunkt: StaRUG – Das Gesamtinteresse im Auge?

Mittwoch, 6. September 2023


Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG:

Bei seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2021 wurde das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, kurz StaRUG, als ein innovatives Gesetz zur Rettung krisengeplagter Betriebe gepriesen; als ein Gesetz gegen die durch die möglicherweise Corona-Pandemie ausgelöste Pleitewelle in Deutschland. Etwas mehr als zwei Jahre weiter betrachtet der Kapitalmarkt die Maßnahmen, die ein Unternehmen mit Hilfe des StaRUGs ergreifen kann, mit gemischten Gefühlen.

Mit dem StaRUG wird ein von der Insolvenzordnung unabhängiges Restrukturierungsverfahren pilotiert. Ziel ist es, sanierungsfähigen Schuldnern einen Werkzeugkasten mit verschiedenen Restrukturierungsmaßnahmen an die Hand zu geben. Der Gesetzgeber will mit diesem Gesetz Unternehmen schützen, auf das sie nicht anspruchsvollen Gläubigern ausgeliefert werden, die mit ihren Forderungen gegebenenfalls überziehen und damit den Fortbestand des Unternehmens gefährden. Vielleicht gibt es latent auch noch den Müntefering-Spruch von den bösen Heuschrecken im Hinterkopf.

Das Herzstück der Restrukturierung nach dem StaRUG ist der Restrukturierungsplan des Schuldners. Darin wird dezidiert beschrieben, welche Maßnahmen für eine Sanierung des Unternehmens nötig sind und wie sie umgesetzt werden können. Der Restrukturierungsplan kann selbstverständlich nur von professionellen Beratern erstellt werden, die ständig den „Markt“ screenen, um proaktiv offensichtlich angeschlagenen Unternehmen ihre Dienste anzubieten. Dabei verweisen die Berater häufig gegenüber dem Management auf die Vorteile des StaRUG. Die Basis des Restrukturierungsplans ist das Sanierungskonzept, welches das Ziel beschreibt.

Der Restrukturierungsplan kann Eingriffe in die Verbindlichkeiten des Schuldners und mögliche Sicherheiten zur Entschuldung des Unternehmens vorgeben. Forderungen von Gläubigern können gekürzt oder auf einmal in den Nachrang gesetzt werden. Der Schuldgrund spielt keine Rolle. Anleihegläubiger, Banken Lieferanten – alle sitzen hier gemeinsam am „Gnadenbrottisch“ des Unternehmens und sind abhängig von der Analyse der Berater, die in Absprache mit der Unternehmensführung versuchen, die wirtschaftliche Schieflage, nicht mehr ausgelöst durch eine pandemische Lage, sondern zumeist durch Missmanagement, zu lösen. Die Einzigen, die als Gläubiger durch das StaRUG geschützt werden sind die Arbeitnehmer.

Wie läuft denn nun eine Restrukturierung nach dem StaRUG ab? Das Management bleibt erstmal im Sattel und kann die Restrukturierung in Eigenregie umsetzen. Damit die bestehende Geschäftsleitung für ihre Maßnahmen nicht haften muss, wird häufig ein Insolvenzspezialist als CRO (Chief Restructuring Officer) berufen, der zur Absicherung dient. Als entscheidender Unterschied zum Insolvenzverfahren muss gesehen werden, dass bei einem Restrukturierungsplan nicht zwingend sämtliche Gläubiger mit einbezogen werden müssen. Es obliegt dem Schuldner, dem Unternehmen, eine Auswahl zu treffen und nur bestimmte Gläubigergruppen zu befriedigen. So kann er z.B. Lieferanten außenvorlassen – aber auch unbesichertes Fremdkapital, wie z.B. Anleihen können zur Disposition stehen. Spannend wird das in der Tat dann, wenn das Management gleichzeitig substanzieller Stakeholder in der Gesellschaft ist. Hier kann es zu massiven Interessenkonflikten kommen und dem Verdacht, man wolle sich nur elegant der Schulden entledigen.

Dass nur bestimmte Gläubigergruppen befriedigt werden müssen, andere ausgeschlossen werden können, sehen momentan viele Unternehmen als Chance an, sich zu von einem entscheidenden Teil ihrer Schulden zu trennen. Sie sind über „Hintertürchen“ in der Lage Gläubiger zu Zugeständnissen und Verzicht zu zwingen. Generell müssen zwar mindestens 75% zur Bestätigung des Restrukturierungsplans einer jeder Gläubigergruppe zustimmen, aber wie immer gibt es Ausnahmen. Betrachten wir den fiktiven Fall, dass Anleihegläubiger zu einem Teil- oder möglicherweise sogar Totalverzicht aufgefordert werden und nicht mindestens 75% dazu bereit sind, dann gibt es immer noch zwei Möglichkeiten. Das StaRUG sieht in diesem Fall Folgendes vor: „Kann die Zustimmung einer Gläubigergruppe nicht erreicht werden, weil mehr als 25% der Betroffenen den Plan ablehnen, kann der Restrukturierungsplan trotzdem vom Restrukturierungsgericht bestätigt werden, wenn die Voraussetzungen der gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung nach dem StaRUG vorliegen (Cross-class Cram-down).“ Wenn also in unserem Fall die Anleihegläubiger nicht zustimmen heißt das nicht, dass andere Gläubigergruppen, die nicht verzichten müssen, nicht sogar eine 100%ige Zustimmung abgegeben haben. Und wenn alle Stricke reißen, dann gibt es ja auch noch den Hinweis auf eine drohende Insolvenz und damit den Totalverlust eben auch der unbesicherten Anleihe.

Anfang 2021 hatte der Gesetzgeber sicherlich das Gesamtinteresse im Auge als er StaRUG auf den Weg brachte. Aber leider zeigt sich, dass der Pendel vermehrt in die andere Richtung ausschlägt. StaRUG sollte die Macht der Gläubiger beschneiden und Unternehmen die Chance geben, wieder zu gesunden. Es war aber sicherlich nicht vorgesehen, dass einzelne Gläubigergruppen sich bis zur „Selbstaufgabe“ für den Fortbestand des Unternehmens opfern müssen. Die grundsätzlichen Gedanken des StaRUGs sind richtig, bloß der Prozess muss angepasst werden, so dass das Gesamtinteresse an einer Restrukturierung nicht unter die Räder kommt. Wie so oft in der aktuellen Politik: ist gut gemeint nicht gut gemacht. Der Gesetzgeber muss schleunigst nachbessern, denn so wird der Zutritt zum Kapitalmarkt für KMUs immer schwieriger, denn semiprofessionelle Anleger zaudern und scheuen mit Recht vor den Möglichkeiten, die Unternehmen durch das StaRUG an die Hand bekommen haben.

Kai Jordan, mwb Wertpapierhandelsbank AG

Foto: pixabay.com

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