Kapitalmarkt-Standpunkt: „Titanic?“

Mittwoch, 11. Januar 2023


Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG:

Als im Oktober die ersten Stimmungsbarometer von der Münchner Immobilienmesse Expo-Real eingetroffen sind, fanden wir diese erfreulich beruhigend. Der allgemeine Tenor war durchaus weiter optimistisch, wenngleich durch die Bank von einer Verlangsamung der Geschäfte gesprochen wurde.

Dies war zunächst erstaunlich, weil die Steigerungsraten bei Energie und Inflationsraten befanden sich in einer Steilwand und zumindest bei den schwächer finanzierten Immobilienunternehmen waren die Risse in der Finanzierung auch für außenstehende klar zu erkennen.

Zum Sentiment auf der Expo-Real erreichte uns dann bald die Metapher, dass die Stimmung sehr wohl gut war, allerdings wie folgt:

„Es war wie auf der Titanic in der Nacht vom auf den 15.04.1912: die Kapelle hat fröhlich gespielt und der Champagner floss in Strömen – aber der Eisberg ist gerammt“.

Diese Metapher hat uns ob ihrer kreativen Ableitung gut gefallen. Allerdings haben wir sie damals schon bezweifelt.

Die Kapitalmärkte reagierten in diesem Umfeld dann auch deutlich besorgter, und die Finanzinstrumente der betroffenen Unternehmen mussten teils signifikante Abschläge hinnehmen. Denn eines hat zum Teil gestimmt: der Markt befand sich zum Jahresende 2022 in einer Art Schockstarre. Und auch auf den nachfolgenden Anlegermessen „flatterten“ die Schätzungen für die Abschläge bei den Immobilien je nach Cluster und Lage zwischen 10-30 % herum.

Und ja, den Eindruck konnte man gewinnen. Die Kapelle an Bord des Schiffes wurde begleitet von missliebigen Geräuschen explodierenden Inflationsraten, einem historisch einmaligen Zinsanstieg und einem vollkommen unklaren Datenkranz. Weitere Misstöne kamen aus den Zentralbanken, die gerade gegen Jahresende mit neben den Zinsschritten mit „hawkisher Rethorik“ dem nach kurzer Erholung (Kapitalmarkt-Standpunkt: Der Sprung der toten Katze… – Anleihen-Finder.de) den strauchelnden Anleihemärkten nochmals „ins Kreuz getreten haben“.

Man muss nun wissen, dass Zentralbankpolitik zu einem großen Teil auch das Management von Erwartungen in Wirtschaft und Kapitalmarkt sind – damit eben auch ein gutes Stück  Rhetorik. Dass diese Rhetorik gerade im Dezember und hier in der 2. Hälfte auf Märkte trifft, deren Liquidität aufgrund des nahen Jahresschlusses, bei dem viele Teilnehmer ihre Bücher bereits geschlossen haben und sich am Ende auch im (nach dem Jahr 2022 wohlverdienten) Urlaub befinden, hat dann in vielen Bereichen den Jahresabschluss nochmals ordentlich verhagelt.

Der Bundfuture durchbrach sein altes Tief bei rund 135 % und markierte zwischen den Jahren neue Lows bei 132 %. Normalerweise sind solche neuen Tiefs klare Verkaufssignale, die auf eine weitere Abwärtsbewegung bei den Kursen und damit weiter steigende Zinsen hindeuten. In Märkten, an denen aber eine Vielzahl Teilnehmer nicht mehr präsent sind, verlieren solche Signale an Bedeutung. Denn „Volume goes with the trend“ sagen die Analysten und so wurde der Anleihemarkt kurz vor Jahresende in eine sogenannte Bärenfalle gejagt. Ein Verkaufssignal das mangels Volumina keines war. Wehe dem, der hier reingetappt ist.

Es kam dann, wie es kommen musste. Mit dem neuen Jahr egalisierte sich die negative Bewegung begleitet von etwas entspannteren makroökonomischen Daten dies- und jenseits des Atlantiks und der 180 Grad Wendung der chinesischen Regierung in der Corona-Politik. Und „Zack“ ging der Bund wieder auf 137 %. Und der Aktienmarkt legte ebenfalls einen Traumstart hin.

Was hat das alles mit den Immobilien zu tun? Nun, der Zins ist Treiber und Schmierstoff für alle Märkte und damit hat er auch massiven Einfluss auf das Sentiment des Immobilienmarktes, der von Finanzierungen lebt. Wenn wir uns die Statistiken ansehen, die dann zum Ende des Jahres 2022 bereits an die Öffentlichkeit kamen, dann sieht man in der Tat deutliche Schleifspuren bei den Daten.

Aber: Auch die Börsenzeitung berichtet in Ihrer Ausgabe vom 24.12.2022 über eine „jüngst vorgelegte Studie der DZ Bank“, die prognostiziert, dass „die Kaufpreise für Wohnimmobilien im Jahresdurchschnitt voraussichtlich um 4-6 % fallen werden“. Ebenfalls zitiert wird der Hauspreisindex des Immobilienanalysten Europace. Demnach „sanken im November die Preise für Eigentumswohnungen um 2,54 % aber die Preise für neue Ein- Zweifamilienhäuser hielten sich mit einem leichten Minus von 0,44 % weitgehend stabil.

Die Zahlen des Europace-Hauspreis-Index gelten als besonders aussagekräftig, da sie im Gegensatz zu den Immobilienportalen echte Verkäufe und nicht nur Angebotspreise abbilden. Insgesamt ging der Index demnach um 1,80 % zurück“.

Weiterhin schreibt die Börsenzeitung „einen drastischen Einbruch der Immobilienpreise erwarten die Experten 2023 aber nicht, denn der Bedarf an Wohnraum bleibe hoch.“ „Der deutsche Wohnimmobilienmarkt sei auch in früheren Wirtschaftskrisen robust geblieben“ heißt es beim Verband der deutschen Pfandbriefbanken.“ Und weiter: „selbst ein kräftiger Rückgang der Preise um rund 20 %, den einige in der Branche für möglich hielten, würde nur das Niveau von 2020 bedeuten“.

Viele dieser Angaben beziehen sich nicht auf absolute Zahlen, sondern auf Angaben in der Mietrendite. Und eines ist sicher: vor dem Hintergrund der strauchelnden Wohnungsbaupläne der Bundesregierung und zunehmender Knappheit werden die Mieten gerade bei neuen Wohnimmobilien strukturell steigen. Mit Blickwinkel auf die soziale Balance ein Thema mit enormen Sprengstoff. Aber hier ist primär die Politik gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen, die das Problem adressieren und wird hierfür bei den Wahlen auf dem Prüfstand stehen.

Auch im Bereich der Gewerbeimmobilien haben die Rezessionsängste eine tiefere Bremsspur hinterlassen und die Umsätze sind deutlich zurückgegangen. Aber der Bereich der Logistikimmobilien verzeichnete in 2022 sogar ein Plus. Einen großen Trend scheint es aber durchgängig zu geben und hier sind die Büroimmobilienmärkte die Vorreiter. Aufgrund der zunehmenden Regulierung hin zu mehr Nachhaltigkeit werden Objekte deren Zustand weit weg ist von den aktuellen erforderlichen Standards mehr- und mehr zu Ladenhütern. Im Gegenzug geht was modern und ESG-konform ist weiterhin gut weg, wie wir hören.

Wir verfallen aber auch nicht in die Euphorie, die mancher Berichterstatter nach dem beeindruckenden Start der Märkte in das neue Jahr mit der Wiederkehr des Begriffes „Goldilocks“ feierte. Dieser steht für nahezu grenzenlose und billige Liquidität, prosperierende Wirtschaft und boomende Märkte. Aber es gelten weiter die alten Gesetze und die heißen „never fight the Fed“ und in Europa gilt es sinngemäß. Die Beruhigung an der Inflationsfront scheint erreicht aber die „letzte Meile“ bis zum Inflationsziel von 2 % wird noch ein steiniger Weg. Es gilt weiterhin selektiv zu bleiben, auch wenn die Märkte nach dem Jahr des Entzugs mal wieder ein wenig feiern.

Bei alldem fragen wir uns aber, ob wir uns wirklich auf der Titanic befinden. Wir sagen weiterhin nein. Ja, es hat mal gerumst und als das Schiff schlingerte sind ein paar Passagiere auf die Bordwand geklettert. Dabei fanden Sie heraus: Luft und Wasser sind kalt aber das Schiff heißt nicht Titanic. Und es sinkt auch nicht. Die Schotten sind hoch gebaut und halten.

Statt Champagner in Strömen gibt es gerade nur noch Sekt, aber die Kapelle spielt auch noch zu Sylvester 2023. Vielleicht sogar wieder mit einem Piccolo Champagner. Wir wären dabei!

Kai Jordan, mwb Wertpapierhandelsbank AG

Foto: pixabay.com

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