Kapitalmarkt-Standpunkt: Eine Rolle rückwärts?

Mittwoch, 24. August 2022


Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG:

Die Diskussion um „Grüne Investments“ hat in den letzten Monaten noch einmal an Fahrt aufgenommen. Von außen getrieben: Geopolitik, hohe Inflation und die Erhöhung der Leitzinsen sind mächtige Anschieber.

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat allen erst klar gemacht, wie groß die Abhängigkeit gerade Deutschlands vom russischen fossilen Brennstoff ist. Selbst die Grünen prüfen die Fortführung von den letzten drei angeschlossenen Kernkraftwerken. Von der Abschaffung von Kohlekraftwerken hat man sich schon verabschieden müssen.

Aber auch hier holt uns der Klimawandel ein. „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ von Rudi Carrell klingt heute eher makaber. Durch die anhaltende Hitze und die wenigen Niederschläge führen die Flüsse, insbesondere der wichtige Rhein, Niedrigwasser. Das bedeutet aber leider auch, dass nicht genügend Kohle zu den Kraftwerken geschifft werden kann.

Gemeinsam führt diese Situation zu einer hohen Inflation von rund acht Prozent in den letzten Monaten und Ängsten, ob viele Menschen in Deutschland zukünftig nur noch mit Hilfe des sozialen Netzes existieren können. Die Angst vor kalten Wintern, frieren und vielleicht sogar möglicher Arbeitslosigkeit ist präsent. Die LINKE und die AFD rufen zukünftig zu Montagsdemos auf. Der politische Rand will die Krise ausschlachten und mit einem inszenierten Wutwinter wieder zunehmen. 

In den letzten Tagen hat der Sparkassenverband eine interessante Studie veröffentlicht, die unter anderem zu folgendem Schluss kam: Wegen dieser Krise werden 60 Prozent der deutschen Bevölkerung sich keine Altersvorsorge mehr leisten können, sondern nur noch im besten Fall ihre reinen Lebenshaltungskosten finanzieren können. Vor einem Jahr waren es nur 15 Prozent. In dem Zusammenhang muss man sich selbstverständlich auch die Frage nach einer Rezession stellen.

Die Banken und Asset Manager werden sich also zukünftig um eine geringere Menge von Sparern (40 Prozent statt wie bisher 85 Prozent) prügeln. Sparer, die vorsichtig sind, die wenn Sie ins Risiko gehen, auch etwas Besonderes erwarten, und zwar die eierlegende Wollmilchsau: Green Investment, Sicherheit und eine Rendite, die das Geld wenigstens nicht abwertet.

Leider führt die Diskussion um Engpässe bei der winterlichen Energieversorgung eben zu der bereits vorstehend erwähnten Diskussion um eine zumindest temporäre Abkehr von bereits auf dem Abstellgleis gewähnten Energiequellen.  Und das obwohl sich die deutschen Gasspeicher derzeit weiter füllen und nunmehr bei 85 % sind. Und die Aktivitäten das russische Gas zu surrogieren laufen auf Hochtouren wie der Besuch von Habeck und Scholz in Kanada zeigt. Ergo wird es wohl so schlimm nicht kommen, wenn der Winter kein sibirischer wird.

Trotzdem wird der Trend zur Dekarbonisierung durch diese Situation belastet und auch die Absatzzahlen bei den nachhaltigen ETFs gehen derzeit auch relativ zurück.

Doch eine Rolle rückwärts kann und wird es nicht geben, auch wenn der aktuelle Druck kurzfristig andere Probleme wichtiger erscheinen lässt und sich wohl auch manch Ewiggestriger das so wünscht. Hier sind nicht nur die Notwendigkeiten sondern auch die Regulierung eindeutig.

Die Banken und Asset Manager stehen also von vielen Seiten unter Druck. Wie sollen Sie Unternehmen bewerten, ob Sie ESG-konform sind oder nicht? Bisher gibt es noch keine allgemeingültigen Bewertungsgrundsätze. Machen Sie Fehler in ihren Einschätzungen, droht Ihnen neben dem mittlerweile immensen Reputationsverlust, Klagen von Verbraucherschützern sowie Strafzahlungen an die Aufsichtsbehörden. Deswegen sind die Kriterien ESG (Environmental, Social and Governance) fester Bestandteil der Analysen der Produktgeber geworden; der Kunde fordert sie ein.

Für Unternehmen wird die Situation ebenfalls deutlich anspruchsvoller. Niemand kann mehr ohne Lösungen für ESG und in das Unternehmen implantiert zu haben, Erfolg am Kapitalmarkt oder bei Kreditgebern erwarten. Zumindest wird es, wenn überhaupt möglich als „Braunes Investment“ sehr teuer.

Dabei spielt auch die interne Risikobewertungen eine wichtige Schlüsselrolle.  Aufsichtsbehörden haben schon konkrete Forderungen formuliert – so die Europäische Zentralbank (EZB) im Leitfaden zu Umwelt- und Klimarisiken der Banken. Die Banken sind bereits angewiesen bei der Preisgestaltung für die einzelnen Unternehmen dies zu berücksichtigen. Grundsätzlich fehlt aber hierzu noch die Methodik. Interessant ist auch der Aspekt, der durch die Aufsichtsbehörden vorgeschriebenen Unterlegung mit Eigenkapital nach Risikoklassen. Wenn gegenüber dem Eigenkapital alle Unternehmen „gleich“ sind und ausschließlich nach den Financials beurteilt werden, wo soll die Bonifizierung der ESG-konformen Unternehmen geschaffen werden? Oder wie sollen die Margen generiert werden?

Ein Vorteil für Banken scheint darin zu liegen, dass Sie, wenn Sie sich selbst auf dem Kapitalmarkt refinanzieren wollen, dies preiswerter machen können, wenn Sie über „grüne“ Portfolios verfügen. Gleichzeitig ist es selbstverständlich auch gut für die Reputation. Um ESG-Konformität festzustellen, rückt die Bank noch deutlicher an den Firmenkunden ran und erhält tiefgreifendere Einblicke in Geschäftsmodelle und Abläufe. Gerade S&G (Social & Governance) bieten hierfür alle Möglichkeiten. Das erleichtert sicherlich auch eine Due Diligence.

Wir haben schon frühzeitig in unseren Standpunkten auf die Wichtigkeit von ESG hingewiesen – ein „must have“. Seit dem 24. Februar mit dem Kriegsbeginn und den damit verbunden Konsequenzen sowie die Klimasituation in Mitteleuropa, die Brandbeschleuniger sind, ist ESG, oder vor zwei Jahrzehnten nannten wir es Nachhaltigkeit, in unser aller Köpfen angekommen. Gleichzeitig wird es immer weniger Retailsparer geben, um die jeder Branchenteilnehmer kämpft. Es bleibt spannend.

Kai Jordan, mwb Wertpapierhandelsbank AG

Foto: pixabay.com

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