Kapitalmarkt-Standpunkt: „Sturm-Flut“
Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG:
Vor uns liegt eine weitere spannende Phase des Kapitalmarktjahrgangs 2020, der wegen seiner stürmischen Bewegungen bereits als nahezu beispiellos in die Geschichte eingeht. Nun, wo sich das Jahr langsam dem Ende entgegenneigt, kommt eine Flutwelle von Ereignissen auf die Investoren zu. Erstens naht eine der richtungsweisendsten US-Präsidentschaftswahlen aller Zeiten und dürfte die Märkte noch ein wenig in den Bann ziehen. Die Polls sind diesmal deutlich ausgereifter und damit auch zuverlässiger und die Abstände deutlicher. Wie die Beobachter der chinesischen Konjunkturentwicklung die Umsätze der Spielcasinos in Macao als wichtig(st)en Indikator betrachten, so wagen wir einen Blick auf die Quoten bei den internationalen Buchmachern, die Wetten auf den Ausgang anbieten. Das Ergebnis scheint eindeutig. Daher lehnen wir uns aus dem Fenster und tippen auch auf Biden. Damit erklären wir die Wahl zwar nicht zum No-Brainer, aber dieser Ausgang dürfte die Welt und die Märkte stabilisierend beeinflussen.
Der unkontrollierte Brexit wird in der Wirtschaft eher Spuren hinterlassen –vermutlich sehr viel deutlicher auf der anderen Seite des Ärmelkanals. Europa und insbesondere Deutschland werden aber auch von Verschiebungen bei Investitionsströmen zu Lasten des britischen Marktes partizipieren. So ist der gerade angekündigte IPO der Berliner Immobilienfirma Velero AG, die bis zu € 550 Millionen in Deutsche Wohnimmobilien investieren will und hier bereits substantielles Zeichnungsinteresse internationaler Investoren vermeldet, ein deutliches Zeichen dafür.
Ansteigende Infektionszahlen sorgen allerdings dafür, dass eine sogar in jüngster Zeit zu unserem Erstaunen immer wieder aufkommende Diskussion über steigende Zinsen sich wenig überraschend wieder ins Gegenteil verkehrt. Wir hatten bereits in unserem Standpunkt „Zombies und Zinsen“über derlei Naivität geschmunzelt. Zinserhöhungen der EZB: Keine Spur. Selbst BuBa Präsident Jens Weidmann, der hier eher der „Falke“ im Ring ist, sieht „keinen Bedarf“ für weitere geldpolitische Lockerungen. Dass er dies so deutlich äußert, liegt daran, dass der Rest der verantwortlichen Protagonisten es eben anders sieht. So sagte EZB Chef-Volkswirt Philipp Lane, „dass es eher der umsichtigere Ansatz sein könnte, durch zusätzliche geldpolitische Impulse die Inflationsdynamik anzukurbeln“. Zumal die EZB bei der Inflationszielsetzung nun auch auf den Kurs der FED einschwenkt, und nur noch eine Bewertung duchschnittlicher Inflationsraten vornimmt. EZB Vize Louis de Guindos mahnte vor wenigen Tagen, „die Notenbank müsse ihre Mittel gegen die schwache Inflation einsetzen“. Zusammenfassend: Die Geldflut wird die Märkte weiter beschäftigen. Gleichzeitig mahnen die Herrscher des Geldes weiter vor den Folgen der Probleme in den Kreditbüchern der Banken. EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel zeigte sich auch aktuell „besorgt über die Verwundbarkeit der Banken und die möglichen Folgen für die Kreditvergabe“. Selbst Bundesbank Vizepräsidentin Claudia Buch sagte am vergangenen Freitag, „private und öffentliche Banken müssten sich auf Solvenzprobleme einstellen“.
Damit fallen klassische Banken als Finanzierungsquelle für die Wirtschaft zunehmend aus. Ein Thema, auf das wir immer wieder hingewiesen haben. Der Einbruch des Marktes für Schuldscheindarlehen um insgesamt 45 % in den ersten 9 Monaten 2020 ist nicht nur konjunkturbedingt. Denn während sich die meisten Märkte deutlich erholen konnten, bleibt die Aktivität in diesen Bank-Kredit-Surrogaten auch im 3. Quartal weiter schwach.
Um so mehr freut es uns, dass der Kapitalmarkt sich nun mit einer anschwellenden Flut von Neuemissionen konfrontiert sieht. Auf den ersten Blick sehen einige Emissionen recht ordentlich aus und könnten erfolgreich avancieren. Bei anderen verorten wir durchaus mehr Schatten als Licht. Der Markt scheint seine Bugwelle aus dem Lockdown an den Strand zu spülen. Um in dieser Flut nicht hinweggespült zu werden, gilt es neben der absoluten Höhe des Kupons weiterhin auf die richtigen Parameter zu achten.
Gerade bei den nun anstehenden Emissionen für Immobilienanleihen empfehlen wir darauf zu achten, in welchem Segment des Immobilienmarktes sich der Emittent tummelt. Bei Gewerbe, Hotellerie und Büroraum würden wir sehr genau hinschauen. Ebenfalls zu vergleichen sind die echten Eigenkapitalquoten, welche ein deutliches Signal bezüglich der Zuverlässigkeit der Kapitaldienste liefern. Mezzanine-Finanzierungen müssen unbedingt in Anrechnung gebracht werden. Der positive Track-Record eines Emittenten am Kapitalmarkt ist ein weiteres wichtiges Kriterium. „Mittelverwendung“ ebenfalls. Geht es im Wesentlichen um eine echte Investitionsstory, dann ist die Emission eine Vorwärtsstrategie. Besteht der Verdacht, dass bestehende Bankschulden ein wichtiger Treiber der Emission sind, dann ist aus unserer Sicht Vorsicht angesagt.
An der von uns begleiteten Emission der bereits 4. Anleihe der Euroboden GmbH können Anleger aus unserer Sicht genau erkennen, dass wir hier nicht nur irgendwelche Weisheiten schreiben sondern auch unsere Emittentenauswahl so ausrichten, dass diese den von uns immer wieder genannten Kriterien auch entsprechen. Und zwar nachvollziehbar. Wir glauben an Transparenz – dazu gehört eben auch das Rating von Anleihen und Unternehmen. Im besten Fall, haben Emittenten auch schon bewiesen, dass Sie nicht nur vor und während der Zeichnungsfrist den Kontakt mit den Investoren suchen, sondern dass es sich bei der Kapitalmarktkommunikation um eine ständige Bringschuld handelt.
Die Flut der Emissionen macht es nicht leicht. Aber die Rahmenbedingungen erscheinen trotz der Risiken der Pandemie sehr gut. Denn das Bessere ist der Feind des Guten. Machen Sie mit, denn mit den positiven Zinsen bei den Banken wird es vermutlich auf lange Sicht nichts mehr. Genauso wie mit den Krediten. Der Kapitalmarkt allokiert zunehmend die Geldflut in die Wirtschaft.
Kai Jordan, mwb fairtrade Wertpapierhandelsbank AG
Foto: pixabay.com
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