Die Anleihe in der Krise und Insolvenz – typische Fallkonstellationen

Dienstag, 16. April 2019


Beitrag von Jochen Rechtmann und Sascha Borowski, Fachanwälte für Bank- und Kapitalmarktrecht bei Buchalik Brömmekamp

Zahlreiche (zunehmend auch mittelständische) Unternehmen begeben Anleihen. Mithilfe dieser – auch als Schuldverschreibungen bezeichneten – Finanzprodukte finanzieren die Emittenten ihre Vorhaben. Zu diesen Vorhaben kann der Ausbau eines Betriebsteils des Unternehmens ebenso zählen, wie die Ablösung von (Alt-)Verbindlichkeiten. Gerät die ausgebende Gesellschaft in die Krise oder muss diese sogar einen Insolvenzantrag stellen, sind viele Beteiligte, insbesondere die Anleihegläubiger, ratlos. Der nachfolgende Beitrag gibt einen pointierten Überblick über das Gesetz und die in der Praxis typischerweise vorkommenden Fallkonstellationen.

Die Begriffe „Schuldverschreibung“ und „Anleihe“ werden meist synonym verwendet, obwohl letzterer den Oberbegriff darstellt. Streng genommen ist die Anleihe die Gesamtemission der ausgegebenen Schuldverschreibungen. Während die Anleihegläubiger der Emittentin einen Geldbetrag zur Verfügung stellen, verpflichtet sich das Unternehmen – oft unabhängig vom Umsatz – zur Zahlung eines Zinses. Dieser Zins wird meist zu einem fest vereinbarten Zeitpunkt einmal im Jahr an die Inhaber der Schuldverschreibungen ausgezahlt. Die Modalitäten der Anleihe werden in den sogenannten Anleihebedingungen festgelegt. In deren Ausgestaltung sind die emittierenden Gesellschaften regelmäßig im gesetzlichen Rahmen frei. Spätere Änderungen der Bedingungen sind grundsätzlich möglich, bedürfen aber der Zustimmung sowohl der Emittentin als auch der Anleihegläubiger.

Gesetzliche Grundlage

Das Schuldverschreibungsgesetz 2009 ( SchVG) bildet die gesetzliche Grundlage für die nach dem 5. August 2009 emittierten Anleihen. Das Gesetz ist gemäß § 1 Abs. 1 SchVG auf „inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen“ anwendbar. Für zuvor begebene Anleihen gilt gemäß § 24 Abs. 1, S. 1 SchVG das zeitlich mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Kraft getretene Schuldverschreibungsgesetz von1899. Eine Optierung zum neuen Schuldverschreibungsgesetz ist den Anleihegläubigern jederzeit, auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, durch eine entsprechende Beschlussfassung möglich. Eine Optierung zum neuen Schuldverschreibungsrecht bietet sich regelmäßig an, da das neue Gesetz der Emittentin sowie den Anleihegläubigern mehr Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stellt als noch das alte Recht.

Änderungen der Anleihebedingungen

Nach neuem Recht können beispielsweise die Rückzahlungsmodalitäten geändert, die Zinsen angepasst, die Kündigungsrechte abgeändert oder beschränkt werden (§ 5 Abs. 3, S. 1 SchVG). Die Änderungsmöglichkeit der Anleihebedingungen setzt voraus, dass diese die Anpassungen auch zulassen. Der in § 5 Abs. 3, S. 1 SchVG nicht abschließend geregelte Maßnahmenkatalog kann von der Emittentin in den Bedingungen ebenso begrenzt, wie erweitert werden. Oft enthalten die Anleihebedingungen einen Passus, der die Anwendbarkeit des Schuldverschreibungsgesetzes feststellt. Enthalten die Bedingungen einen dahingehenden Verweis, können sie durch einen Mehrheitsbeschluss geändert werden. Das insoweit der aktienrechtlichen Hauptversammlung nachgebildete Gläubigerorganisationsrecht regelt die weiteren Voraussetzungen für diese Versammlungen. Alternativ hierzu verbleibt die Möglichkeit mit jedem Anleihegläubiger durch gleichlautende Vereinbarungen die Bedingungen anzupassen. Diese Möglichkeit ist wenig praktikabel, da die Inhaber dieser oft börsennotierten Papiere der Emittentin nicht bekannt sind und die Inhaberschaft sich jederzeit ändern kann.

Bestellung eines gemeinsamen Vertreters außerhalb des Insolvenzverfahrens

Ist der 2. Abschnitt des SchVG (§§ 5- 22) anwendbar, ermöglicht dies der Emittentin, aber auch den Anleihegläubigern für die Vertretung ihrer Interessen einen sogenannten gemeinsamen Vertreter zu bestimmen (§§ 7, 8). Dieser rechtsgeschäftlich bestellte Vertreter nimmt die Rechte der Anleihegläubiger wahr. Die Einsetzung eines solchen gemeinsamen Vertreters bietet nicht nur den Gläubigern Vorteile, sondern ebenso der Emittentin. Letztere muss sich im Falle der Bestellung eines solchen Vertreters nur noch mit einer einzigen Person auseinandersetzen und mit dieser verhandeln. Im Krisenfall liegt der sich hieraus ergebende Vorteil auf der Hand. Ist der gemeinsame Vertreter mit ausreichenden Rechten ausgestattet, können die Anleihebedingungen geändert werden. Dahingehende Anpassungen können erforderlich sein, um ein Unternehmen vor der Insolvenz und einem oft damit einhergehenden Ausfall der Forderungen der Anleihegläubiger zu schützen. Wurde die Anleihe nach dem SchVG 2009 emittiert oder aber zu diesem Gesetz optiert, kann ein gemeinsamer Vertreter auch im Rahmen des „Scheme of Arrangement“ tätig werden.

Bestellung des gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren

Wird über das Vermögen der ausgebenden Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, ist das Insolvenzgericht gemäß § 19 Abs. 2, S. 2 SchVG verpflichtet, eine Gläubigerversammlung für die Anleihegläubiger einzuberufen. Diese Anleihegläubigerversammlung wird ausschließlich für die Anleihegläubiger einberufen und ist von den übrigen insolvenzrechtlichen Gläubigerversammlungen, wie beispielsweise dem Berichtstermin, zu unterscheiden. In dieser Versammlung sollen die Anleihegläubiger darüber abstimmen, ob ein gemeinsamer Vertreter bestellt werden soll und wer diese Funktion gegebenenfalls wahrnehmen soll.

Wurde schon im Rahmen der Begebung der Anleihe oder später vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein gemeinsamer Vertreter bestellt, bedarf es dieser Einberufung durch das Insolvenzgericht nicht.

Einigen sich die Anleihegläubiger auf einen gemeinsamen Vertreter, wird dieser regelmäßig mit der Vertretung ihrer Interessen im Insolvenzverfahren beauftragt. Während das alte Recht keine ausschließliche Anmeldebefugnis des bestellten Vertreters vorsah, sieht § 19 Abs. 3 SchVG vor, dass diese Befugnis bei dem gewählten Vertreter liegt. Ansprüche, die sich nicht aus der Schuldverschreibung selbst ergeben, wie beispielsweise deliktische Ansprüche infolge des Betreibens eines „Schneeballsystems“, können nur von den Gläubigern selbst angemeldet werden. Die Tätigkeit des gemeinsamen Vertreters im Insolvenzverfahren umfasst nicht nur die Anmeldung der Forderungen, sondern auch die Vertretung der Anleihegläubiger im Berichtstermin. Auch die Prüfung und das gegebenenfalls Bestreiten sonstiger zur Insolvenztabelle angemeldeter Forderungen gehört zu seinen Aufgaben. Der Insolvenzverwalter zahlt die Insolvenzquote an den gemeinsamen Vertreter aus.  Dieser hat dafür Sorge zu tragen, dass die einzelnen Anleihegläubiger den auf sie entfallenden Anteil erhalten.

Vergütung des gemeinsamen Vertreters

Die mit der gemeinsamen Vertretung anfallenden Kosten sind gemäß § 7 Abs. 6 SchVG grundsätzlich von der emittierenden Gesellschaft zu zahlen. Zahlreiche gemeinsame Vertreter, Insolvenzverwalter, Kassenprüfer und Gläubigerausschussmitglieder gingen in der Vergangenheit davon aus, dass auch der erst im Insolvenzverfahren bestellte gemeinsame Vertreter aus der Masse bezahlt werden müsse. Diese jahrelang geübte Praxis hat der BGH durch das Urteil vom 12.01.2017, Az. IX ZR 87/16 für unrechtmäßig erklärt. Dies stellt die Insolvenzverwalter vor Haftungsfragen (vgl. hierzu: Stahlschmidt/Borowski in: ZInsO 2018, S. 2445 ff.).

Nur unter engen, nicht näher genannten, Voraussetzungen soll danach eine Vergütungsvereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Vertreter im Einzelfall zulässig sein. Auch die Vergütung des Vertreters durch die Anleihegläubiger bleibt möglich.

Beschlussanfechtungen

Die von der Gläubigerversammlung gefassten Beschlüsse können grundsätzlich mit der Anfechtungsklage, § 20 SchVG, angefochten werden. Dieses Rechtsmittel ist der aktienrechtlichen Anfechtungsklage gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung nachgebildet und verweist nicht nur auf § 246 AktG, sondern auch auf das Freigabeverfahren. Mit letzterem kann die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage kassiert werden, sodass der Beschluss – obschon das Anfechtungsverfahren nicht beendet ist – umgesetzt werden kann.

Gegen die Beschlüsse der Gläubigerversammlung, die noch unter der Geltung des SchVG  1899 gefasst werden, ist die Nichtigkeitsfeststellungsklage statthaft.

Gegen Beschlüsse, welche die Anleihegläubiger in der durch das Insolvenzgericht einberufenen Anleihegläubigerversammlung nach § 19 Abs. 2, S. 2 SchVG gefasst haben, sind weder die Anfechtungsklage noch die Nichtigkeitsfeststellungsklage statthaft. Der BGH hat in seinem Urteil vom 12.01.2017, Az. IX ZR 87/16 die sofortige Beschwerde nach § 78 InsO analog für statthaft erachtet.

Autoren: Jochen Rechtmann und Sascha Borowski, Fachanwälte für Bank- und Kapitalmarktrecht, Buchalik Brömmekamp Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

INFO: Die Kanzlei Buchalik Brömmekamp, wie auch Rechtsanwalt Sascha Borowski, verfügen aufgrund regelmäßiger Bestellungen zum gemeinsamen Vertreter über besondere Expertise im Bereich des SchVG.

Foto: pixabay.com

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