Im Fokus: …wenn das Gute liegt so nah?

Donnerstag, 16. August 2012

Die fünf Qualitätssegmente für Mittelstandsanleihen der deutschen Wertpapierbörsen sind den Kinderschuhen entwachsen. Auch der „Nachzügler“, das Segment m:access der Börse München, kann seit dem Juli mit der Emission der posterXXL AG seine erste Anleihe zum Handel anbieten.

Während  alle Segmente eine ähnliche Zeichnungsfunktionalität bieten, unterscheiden sie sich in Punkto Listing-Voraussetzungen und Renommee. Betrachtet man die Verteilung der Emittenten auf die einzelnen Handelsplätze wird zudem klar:  Auch die räumliche Nähe zur Börse ist ein Hauptkriterium bei der Wahl des Listingplatzes.

Die Mittelstandsbörse Deutschland, das Anleihen Segment der Börse Hamburg und der Börse Hannover, ist das einzige der so genannten Qualitätssegmente, das von seinen Emittenten weder ein Rating, noch ein Mindestemissionsvolumen fordert. Für die beiden Unternehmen, die sich dort listen ließen, die BKN biostrom (inzwischen insolvent und vom Handel ausgenommen) und die Albis Leasing AG , dürfte dies jedoch nicht von Bedeutung gewesen sein: Beide Emittenten erfüllten im Hinblick auf Rating (BBB bzw. BB+) und Nominalvolumen die Aufnahmevoraussetzungen aller fünf deutschen Anleihesegmente. Trotzdem zogen die Hamburger Albis und die BKN biostrom aus dem niedersächsischen Vechta den räumlich am nächsten liegenden Börsenplatz vor – auch wenn der zu diesem Zeitpunkt ein weitgehend unbeschriebenes Blatt war.

Besonders kleinere Unternehmen profitieren vom regionalen Bezug

„Für die Emittenten ist letztendlich entscheidend, welche Vorteile sie aus einer Notierung an der Heimatbörse ziehen können. Die Unternehmen verfügen oftmals über einen in vielen Jahren erworbenen Bekanntheitsgrad in der Region, den sie sich bereits bei der Neuemission der Anleihe zu Nutze machen können“, erläutert  Ulf Timke von den Börsen Hamburg und Hannover. Denn viele Anleger bevorzugen ihre Heimatbörse sowie regional bekannte Unternehmen. „Motivation für eine Zeichnung eines aus der Region stammenden Emittenten ist oft, einen Beitrag zur Prosperität eines wichtigen regionalen Players zu leisten. Dadurch kann der Anleger selbst aktiv beim Erhalt oder sogar der Schaffung von Arbeitsplätzen mitwirken. Dieses Momentum ist nicht zu unterschätzen“, so Timke. „Bei großen Unternehmen mit einem überregionalen Bekanntheitsgrad durch bekannte Produkte oder eine lange gepflegte Marke spielt der Bezug zu einer Region jedoch naturgemäß eine nicht mehr so große Rolle.“

„Pionierarbeit“ für heimische Börsen

Dass aber auch namhafte Unternehmen an kleinere Börsen in ihrer Region gehen, haben die Semper idem Underberg GmbH aus dem nordrhein-westfälischen Rheinberg und die mönchengladbacher Valensina GmbH bewiesen. Underberg, Produzent des bekannten Kräuter-Digestifs, war als erster Emittent im mittelstandsmarkt notiert und hat bewusst das „Risiko des Pioniers“ getragen. „Wir haben uns für dieses Segment entschieden, da wir in der Region Düsseldorf beheimatet sind. Die Düsseldorfer Börse ist uns sehr lieb und wichtig“, erklärt Wilfried Mocken, Vorstandsvorsitzender der Semper idem Underberg AG. Zum Zeitpunkt der Underberg-Emission (die ebenfalls die Listing-Voraussetzungen für alle fünf Börsenplätze erfüllt hätte) war die Börse Düsseldorf laut Mocken im Bereich des Mittelstands nur wenig aktiv. „Mit der Emission wollten wir unter anderem den Weg für andere Mittelständler an das Börsensegment ebnen“, so Mocken. Heute sind im „mittelstandsmarkt“, der in der Branche neben den beiden anderen „Big Playern“ Entry Standard (Frankfurt) und Bondm (Stuttgart) einen guten Ruf genießt, 13 Emissionen gelistet. Darunter auch das Biogas-Unternehmen MT-Energie, dass mit Sitz im niedersächsischen Zeven eher im Einzugsbereich der Mittelstandsbörse Deutschland wäre.

Auch die Bielefelder Biogas Nord AG würde mit ihrer Anleihe gerne am Düsseldorfer „mittelstandsmarkt“ notieren. Das Unternehmen aus dem Bereich der Erneuerbaren Energien scheiterte mit einem Creditreform-Rating von BB- jedoch an den Aufnahmekriterien des Segments (s. Tabelle). Nun ist die Emission der Anleihe verschoben worden.
 
Bondm verliert an Boden

Das Stuttgarter Segment Bondm, das im September 2010 mit dem Listing der Dürr Anleihe (Sitz: Bietigheim-Bissingen bei Stuttgart) startete, war lange Zeit das einzige Segment für Mittelstandsanleihen. Im April 2011 zogen dann  Düsseldorf und Frankfurt  nach. Während die Stuttgarter zu Zeiten ihrer Alleinstellung viele Emittenten aus anderen Bundesländern für ihr Segment gewinnen konnten, dünnt dieser Zulauf inzwischen deutlich aus. Gleichzeitig gewinnt der Entry Standard in Frankfurt an Boden. Anders als bei den anderen vier Segmenten ist hier eine Konzentration auf das Umland der Börse kaum ersichtlich. Stattdessen sind die Emittenten des Entry Standard über die ganze Republik verteilt. Eine davon ist die Anleihe des FC Gelsenkirchen-Schalke 04, den man als Fußballclub eher an einem heimatnahen Standort (in diesem Falle Düsseldorf) vermutet hätte.

Frankfurt bekommt Zulauf aus dem gesamten Bundesgebiet

Auch die Scholz AG, ein Recycler von Stahl- und Metallschrott, hat ihre Anleihe im Frankfurter Entry Standard statt im näher gelegenen Stuttgart notieren lassen. Christoph Schorp, Prokurist Corporate Finance & Development der Scholz AG, begründet dies so: „Der Börsenplatz Frankfurt war für uns im Heimatmarkt Deutschland die erste Wahl, da nach unserer Einschätzung die Handelsaktivitäten und damit die Liquidität in den Papieren dort am größten ist und in Deutschland der Finanzplatz Frankfurt nach wie vor die größte Aufmerksamkeit genießt. Auch vor dem Hintergrund der Größenordnung unserer Anleihe mit einem Emissionsvolumen von 150 Millionen Euro war uns die Notierung am größten deutschen Finanzplatz wichtig.“

Die KTG Agrar AG, Hamburg, hat sich mit ihrer zweiten Anleihe in Punkto Börsenplatz sogar umorientiert. Während die 2010 begebene Emission (WKN: A1ELQU) des Landwirtschaftsunternehmens noch im damals konkurrenzlosen Bondm zur Zeichnung angeboten wurde, ist das KTG Biowertpapier II (WKN: A1H3VN) im Entry Standard handelbar.

Auch das Modeunternehmen Steilmann – Boecker Fashion Point (Sitz in Herne bei Bochum) hat sich – nach Beratung mit seinen Partnern – für den Entry Standard entschieden. Geschäftsführer Dr. Michele Puller: „Die Börse Frankfurt ist nicht nur der wichtigste Börsenplatz in Deutschland, sondern international führend.“ Vorteile, die seiner Meinung nach schwerer wiegen, als die Nähe zum Sitz des Unternehmens: „Die regionale Bekanntheit ist bei der Kommunikation und dem Marketing zu berücksichtigen. Beim Börsenplatz sehe ich in der heutigen vernetzten Welt keine wirklichen Vorteile in der räumlichen Nähe.“

Fazit

Regional oder bundesweit orientiert: Je nach Zielgruppe und Unternehmensphilosophie setzen Emittenten unterschiedliche Schwerpunkte bei der Wahl des Börsenplatzes. Um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben, müssen die Börsen ihr Serviceangebot demnach so anpassen, dass sie für  beide Unternehmensgruppen attraktiv sind – sonst sind sie im Wettbewerb um die Emittenten schnell abgehängt.

Anleihen Finder Redaktion

Foto: Niklas Bender/flickr

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