Warum wäre ein „German SME Bond Standard“ sinnvoll?

Dienstag, 14. Oktober 2025


Fragen an die Vertreter des Interessenverbandes Kapitalmarkt KMU Ingo Wegerich und Dr. Mirko Sickinger

Der deutsche Markt für KMU-Anleihen hat in den letzten Jahren mit Problemen zu kämpfen – viele Unternehmen suchen inzwischen im Ausland, vor allem in Skandinavien, nach Finanzierungsmöglichkeiten. Dort überzeugt das Nordic-Bond-Modell durch klare Standards, Transparenz und Investorenvertrauen. Die Kapitalmarktexperten und Vertreter des Interessenverbandes Kapitalmarkt KMU Ingo Wegerich (Verbandspräsident und selbstständiger Rechtsanwalt) und Dr. Mirko Sickinger (Kanzlei Heuking) fordern daher einen „German SME Bond Standard“, um deutschen KMUs wieder besseren Zugang zum Kapitalmarkt zu ermöglichen. Im Gespräch mit dem Anleihen Finder erläutern sie, welche Schwächen der hiesige Markt derzeit hat, welche Elemente des nordischen Modells vorbildlich sind und wie ein zukunftsfähiger Standard in Deutschland aussehen könnte.

Anleihen Finder: Herr Wegerich, Herr Dr. Sickinger, Sie beide sprechen davon, dass deutsche KMUs zunehmend auf den skandinavischen Markt ausweichen müssen, um Kapital über Anleihen aufzunehmen. Worin sehen Sie die größten Schwächen des bisherigen deutschen KMU-Anleihemarkts?

Ingo Wegerich: Lieber Herr Henecker, zunächst ganz herzlichen Dank, dass wir die Möglichkeit erhalten, uns hier zu der von unserem Interessenverband Kapitalmarkt KMU, dem Sprachrohr des kapitalmarktorientierten Mittelstandes, initiierten Arbeitsgruppe aller Stakeholder und dem von uns angestrebten einheitlichen German SME Bond Standard zu äußern.

Das Thema hat eine lange Vorgeschichte. Unser Interessenverband ist von vielen Seiten angesprochen worden. Von Emittenten, von Investoren und auch von platzierenden Banken. Es gibt ein sehr großes Bedürfnis nach einem einheitlichen Marktstandard. Da ist zunächst der negative Ruf des Mittelstandsanleihemarktes mit vielen Insolvenzen und Restrukturierungen zu nennen. Es fehlt ein einheitliches Anleiheformat, ein sogenannter Standard. Der Deutsche Mittelstandsanleihen Fonds ist als größerer Investor weggefallen. Gegen die Geschäftsführer von One Square Advisors, die bei Problembonds als gemeinsame Vertreter eine zentrale Rolle innehatten, werden derzeit strafrechtliche Verfahren geführt und andere Anleihesegmente, in denen deutsche Unternehmen Anleihen unter ausländischem Recht begeben, erstarken.

Anleihen Finder: Welche Erfahrungen deutscher Emittenten auf dem Nordic Bond-Markt haben Sie zu der Forderung nach einem German SME Bond Standard veranlasst?

„Ein deutscher Standard, der dies ohne den Umweg über Skandinavien ermöglicht, könnte den deutschen Emittenten einiges an Komplexität ersparen“

Dr. Mirko Sickinger: Emittenten sind in erster Linie an einer erfolgreichen Platzierung ihrer Anleihe interessiert. Ein deutscher Standard, der dies ohne den Umweg über Skandinavien ermöglicht, könnte den deutschen Emittenten einiges an Komplexität ersparen. Das beginnt schon bei der Verwendung von skandinavischem und deutschem Recht. Bei Anleihen deutscher Emittenten nach Nordic Bond Standard müssen sich die Emittenten und Investoren im Ergebnis mit zwei Rechtsordnungen auseinandersetzen. Zudem sind die ausgewogenen Regelungen des deutschen Schuldverschreibungsgesetzes nicht anwendbar. Das ermöglicht zwar manchmal schnellere Lösungen, diese werden aber teilweise nur von kleinen Minderheiten der Investoren getragen.

Anleihen Finder: Welche spezifischen Stärken des Nordic-Bond-Modells halten Sie für besonders nachahmenswert im deutschen Markt?

Dr. Mirko Sickinger: Zunächst einmal hilft ein etablierter Standard, Vertrauen bei den Investoren aufzubauen. Was in Skandinavien gelungen ist, ist auch in Deutschland möglich. Insbesondere geht es darum, Vorgaben für die Transparenz im Rahmen eines laufenden Reportings zu schaffen und diese Vorgaben durch einen Treuhänder umzusetzen. Das wird auch in Deutschland gelingen, insbesondere wenn man die ausgewogenen Regelungen des deutschen Schuldverschreibungsgesetzes berücksichtigt, zu dem auch ausreichend Rechtsprechung für die Verfestigung eines Standards vorliegt.

„Was in Skandinavien gelungen ist, ist auch in Deutschland möglich“

Anleihen Finder: Gleichzeitig haben Sie auch Risiken wie den „Nordic Trustee“ oder die Gläubigerversammlungen unter skandinavischem Recht kritisiert. Welche dieser und weiterer Punkte sollten im deutschen Kontext unbedingt anders geregelt werden?

Ingo Wegerich: Kritik ist vielleicht das falsche Wort – wir haben auf bestimmte Punkte hingewiesen. Grundsätzlich würde ich sagen, dass es doch komisch anmutet, wenn deutsche mittelständische Unternehmen deutschen Kleinanlegern Anleihen unter ausländischem Recht anbieten – und im Schadensfall müssen die Kleinanleger ihre Ansprüche über einen Trustee, der ebenfalls im Ausland sitzt, vor ausländischen Gerichten geltend machen.

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Fußballclub, der eine Anleihe auch für die eigenen Fans aufsetzen wollte. Hier wurde diese Variante ebenfalls diskutiert und aus den geschilderten Gründen als fernliegend abgetan. Rechtlich lässt sich noch ergänzen, dass bei Gläubigerversammlungen im Unterschied zum deutschen Recht erhebliche Unterschiede bei Beschlussfassungen bestehen; so bedarf es bei einer zweiten Gläubigerversammlung keiner Mindestteilnahme – selbst weitreichende Maßnahmen können also von einer sehr kleinen Investorengruppe durchgesetzt werden.     

Anleihen Finder: Sie nennen Standardisierung, Transparenz und stärkere Gläubigerrechte als Kernelemente. Wie könnte ein praktikabler Rahmen für diese Punkte konkret aussehen?

„Ein einheitlicher Standard, Transparenz und stärkere Gläubigerrechte sind wichtig“

Ingo Wegerich: Hier möchte ich mich vorsichtig äußern. Wir wollen unserer Arbeitsgruppe nicht vorgreifen. Aber ich sage sicherlich nicht zu viel, wenn ich darauf hinweise, dass ein einheitlicher Standard, Transparenz und stärkere Gläubigerrechte wichtig sind. Dies wurde von vielen Teilnehmern in der konstituierenden Sitzung unserer Arbeitsgruppe hervorgehoben.

Welchen Weg wir hier konkret beschreiten, müssen wir noch ausloten. Zu denken wäre an eine Empfehlung unseres Verbandes für einen Standard, Empfehlungen für bestimmte Covenants, eine Selbstverpflichtung der platzierenden Banken, eine neutrale Datenbank mit Marktdaten. Dieses sind nur Beispiele. Sicherlich wird hier der Trustee bzw. gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger auch eine wichtige Rolle spielen.

Anleihen Finder: Welche Rolle sollte ein deutscher Treuhänder im Sinne der Investoren künftig übernehmen – und wie könnte man Wettbewerb statt Monopol gewährleisten?

Dr. Mirko Sickinger: Der deutsche Treuhänder kann mit denselben Rechten wie der skandinavische Trustee ausgestattet werden, nur eben nicht nach skandinavischem Recht, sondern in einem einheitlich auf deutschem Recht beruhenden System, vom Gesellschaftsrecht des Emittenten über das Recht für die Gewährung von Sicherheiten bis hin zum Recht des Börsenplatzes. Die Übernahme der Rolle des deutschen Treuhänders würde verschiedenen geeigneten Bewerbern offenstehen. Die Einzelheiten hierzu werden in unserer Arbeitsgruppe erarbeitet werden.

Anleihen Finder: Welche Reporting-Standards wären aus Sicht des KMU-Verbands notwendig, um Vertrauen und Vergleichbarkeit zu erhöhen?

Dr. Mirko Sickinger:Transparenz ist in jedem Fall sehr wichtig und schafft Vertrauen. Wichtig ist ein Reporting zu wesentlichen Finanzkennzahlen. Insofern ist ein Rückgriff auf die für das Listing von Bonds im Segment Scale relevanten Kennzahlen erwägenswert.

Anleihen Finder: Im Nordic-Markt sind institutionelle Investoren wie Pensionsfonds und Versicherungen wichtige Anker. Welche Anreize wären notwendig, um diese Gruppe stärker für den deutschen KMU-Anleihemarkt zu gewinnen?

„Es sind internationale Investoren, die sicherlich auch einem vergleichbaren Modell in anderen Rechtsordnungen offen gegenüberstehen“

Dr. Mirko Sickinger: Die heutigen institutionellen Investoren im Nordic-Markt sind keineswegs nur oder auch nur überwiegend skandinavische Investoren. Es sind internationale Investoren, die sicherlich auch einem vergleichbaren Modell in anderen Rechtsordnungen offen gegenüberstehen. Entscheidend ist, dass ein Standard Transparenz und Reporting in vergleichbarer Weise gewährleistet. Dann haben wir keine Bedenken, dass auch ein deutscher Kapitalmarkt vergleichbar attraktiv werden kann, insbesondere wenn es um deutsche Emittenten geht.

Anleihen Finder: Sie sprechen von einer investorenorientierten Rechtswahl. Wie könnte diese in der Praxis ausgestaltet werden, ohne Emittenten übermäßig zu belasten?

Dr. Mirko Sickinger: Wir gehen davon aus, dass für internationale Investoren deutsches Recht grundsätzlich ebenso attraktiv ist wie skandinavisches Recht. Entscheidend ist die Etablierung eines Standards, weniger die Rechtsordnung als solche. Für deutsches Recht, auch aus Investorensicht, spricht, dass ein einheitlicher Rechtsrahmen geschaffen werden kann, vom Gesellschaftsrecht über das Recht der dinglichen Sicherheiten bis zum Recht des Börsenplatzes. Ein institutioneller Investor muss sich dann nicht mehr von mehreren Anwälten zu unterschiedlichen Rechtsordnungen wegen eines einzelnen Investments beraten lassen.

Anleihen Finder: Welche Rolle sehen Sie für deutsche Börsenplätze und Aufsichtsbehörden bei der Etablierung eines German SME Bond Standard?

Ingo Wegerich: Unserer Arbeitsgruppe gehören bereits Vertreter eines deutschen Börsenplatzes an – zwei weitere Börsenplätze sind wichtige Verbandsmitglieder und wir sind durch die Mitgliedschaft im stetigen und engen Austausch untereinander. Da das Thema German SME Bond Standard groß von den Medien aufgegriffen wurde, können Sie davon ausgehen, dass die Aufsichtsbehörden die Etablierung eines Standards mit Interesse verfolgen. Grundsätzlich pflegen wir einen guten Informationsaustausch.

Anleihen Finder: Sie planen eine Arbeitsgruppe zur Entwicklung des Standards. Welche Stakeholder möchten Sie hier einbinden und wie stellen Sie sich den Dialogprozess konkret vor?

„Ziel ist es, ein deutsches Format zu entwickeln, das Investoren überzeugt, ohne Unternehmen bloßzustellen, die andere Emissionsformate nutzen“

Ingo Wegerich: Die Arbeitsgruppe besteht schon und hatte bereits ihre konstituierende Sitzung. Es ist auch keine Verbands-interne Arbeitsgruppe. Wir haben alle Stakeholder eingeladen, sich zu beteiligen. Wichtig ist auch, dass wir uns nicht als Gegner anderer Formate sehen. Ziel ist es, ein deutsches Format zu entwickeln, das Investoren überzeugt, ohne Unternehmen bloßzustellen, die andere Emissionsformate nutzen. Der Verband möchte generell die Kapitalmarktfinanzierung für den Mittelstand fördern.

In dieser Arbeitsgruppe sind Experten aller Ausrichtungen vertreten – das „who is who“ des Bondmarktes: Börse, viele platzierende Banken, Investoren, erfahrende Berater, Rechtsanwälte, Kommunikation, Bondjournalisten – sicherlich weit über 100 Jahre Bondexpertise. Wir brauchen einen einheitlichen Standard, an dem sich alle beteiligen – dass unsere Arbeitsgruppe so großen Zulauf hat, ist ein wirklich vielversprechendes Zeichen. Ohne ins Detail gehen zu wollen, kann ich auch sagen, dass unsere Initiative auch in der Politik bzw. beim Gesetzgeber mit Interesse aufgenommen wurde.

Anleihen Finder: Welche nächsten Schritte halten Sie für notwendig, damit der German SME Bond Standard Realität wird? Und wie schnell könnte ein solcher Standard in der Praxis umgesetzt werden?

„Wir haben jetzt ein Momentum“

Ingo Wegerich: Geben Sie uns etwas Zeit, lieber Herr Henecker! Wir wollen hier keinen Schnellschuss, sondern ein Bond-Format bzw. einen Standard, der von allen akzeptiert wird – von den Investoren, den Emittenten und den platzierenden Banken. Wenn wir hier einen Vorschlag für einen German SME Bond Standard haben, werden wir ihn zunächst mit den relevanten Stakeholdern abstimmen, bevor wir dieses Format der Öffentlichkeit vorstellen. Ein möglicher Zeitrahmen könnte ein halbes Jahr sein. Die erste Sitzung unserer Arbeitsgruppe war sehr vielversprechend. Wir haben jetzt ein Momentum.   

Anleihen Finder: Herr Wegerich, Herr Dr. Sickinger, besten Dank.

Anleihen Finder Redaktion.

Titel-Foto: pixabay.com

Portrait-Fotos: Ingo Wegerich & Dr. Mirko Sickinger

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