„Seid nicht feige – lasst mich hinter den Baum“ – Kolumne von Marius Hoerner, ARTUS Asset Management AG

Donnerstag, 8. Januar 2015


„Der Markt für Mittelstandsanleihen ist tot“ zitiert die F.A.Z. Herrn Lammersdorf, den Vorstandsvorsitzenden der Börse Stuttgart. Dabei hieß es noch vor Jahresfrist: Wer hat’s erfunden? Die Börse Stuttgart!

Weitere Zitate aus dem Artikel lesen sich so:

1. Wir sind stolz, diese Lücke in der Mittelstandsfinanzierung entdeckt zu haben.“

2. „Übrig bleiben die Unternehmen, die anderweitig kein Geld mehr bekommen haben, das ist für uns kein attraktives Geschäft.“

3. „Auch erfahrene Kapitalmarktexperten sind von Emittenten getäuscht worden.“ und

4.„Wenn kriminelle Energie im Spiel ist, haben auch Experten kaum Chancen, Risiken zu erkennen.“

Gehen wir die Punkte mal im Einzelnen durch:

Anleihen kleiner Unternehmen gab es immer schon und immer mal wieder. Die Börse Stuttgart hat einen Trend entdeckt und durch entsprechendes Marketing so attraktiv gemacht, dass Mitbewerber und Anleger aufmerksam geworden sind. Das ist gut und legitim und hat den großen Vorteil, dass man vom „First Mover“-Effekt profitieren kann.

Punkt 2 halte ich für „dünnes Eis“. Solche Unternehmen gibt es in diesem Marktsegment. Aber nicht nur, sondern auch. Ganz davon abgesehen, an welcher Börse gab es mit welchen Anleihen die ersten Schwierigkeiten? Oder war es gar eine ganze Branche?

Die Punkte 3 und 4 sind unstrittig. Kriminelle Energie gehört in keinen Markt. Erstaunlich ist nur, dass kriminelle Machenschaften aktuell ganz anders bzw. leiser beurteilt werden, wenn sie statt auf der Zins- auf der Aktienseite stattfinden.

Die Anleger müssen endlich begreifen, dass es mit gewissen Risiken verbunden ist, wenn kleine Unternehmen im Spiel sind. Warum? Weil diese zwangsläufig in ihrem Geschäft nicht so breit diversifiziert sein können wie große Unternehmen. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir über Anleihen oder Aktien reden.

Börsen müssen Regeln aufstellen

Frankfurt macht weiter und Düsseldorf (offenbar mit neuem Namen) auch. Ob das Produkt nun X oder Y heißt, Neuer Markt oder TecDAX spielt im Grunde keine Rolle. Was allerdings eine entscheidende Rolle spielt, sind Regeln und die können die Börsen als Plattformanbieter durchaus aufstellen. Bisher ist davon aber weit und breit nichts zu sehen. Es gibt zwar Checklisten und ähnliches, aber wo bleiben feste Forderungen nach beispielsweise Eigenkapitalquote oder Zinsdeckungsgrad? Und zwar nicht nur heute mal eben „hingefummelt“ sondern zwei oder besser drei Jahre rückwirkend?

Ein Argument, dass ich im Laufe des Jahres mal gehört habe: „Wenn wir das zur Regel machen, bekommen wir keine Emission mehr.“ Doch, mit entsprechendem Marketing bekommt man dann die guten Emissionen.

„Klasse statt Masse“

„Klasse statt Masse“ wäre sicher ein gutes Motto für das Jahr 2015. Und wenn dann wirklich keine Emissionen kommen, wissen die Anleger wenigstens warum. Die entsprechende Börse hat ein gutes Werk getan und darf das auch verkünden.

Den Börsen und auch den Anlegern, ob Private, Institutionelle oder irgendwo dazwischen, empfehle ich einen Blick in die jüngere Geschichte der Märkte.

1997 entstand ein neues Marktsegment. Der „Neue Markt“. Am 10. März 2000 erreichte der Nemax 50 seinen absoluten Höchststand. Zitat Wikipedia: „Parallel zur Entwicklung an den internationalen Börsen fielen die Notierungen ab März 2000 auch am Neuen Markt. Erste Listen mit potenziellen Pleitekandidaten wurden auf Internetseiten und in der Presse veröffentlicht. Im September 2000 meldete mit Gigabell tatsächlich das erste Unternehmen in einer später endlosen Reihe Insolvenz an. Aufsehen erregte u.a. die Insolvenz der Infomatec AG im Mai 2001, die zuvor serienweise betrügerische Ad-hoc-Meldungen publiziert hatte. 2001 versuchte die Deutsche Börse, die immer größere Anzahl insolventer Unternehmen durch ein zwangsweises Delisting von Penny-Stocks zu verschleiern. Dagegen klagten jedoch zahlreiche der betroffenen Unternehmen. Die Regel wurde später wieder fallen gelassen; dafür wurde die Portalseite neuermarkt.com der Deutschen Börse zum Jahresende 2001 eingestellt.

2002 wurde die Abwärtsbewegung zusätzlich durch zahlreiche Skandale bei einzelnen der gelisteten Unternehmen verstärkt. Spektakulärster Betrugsfall war der Telematik-Anbieter ComROAD, dessen Geschäftstätigkeiten nahezu ausschließlich aus Scheinumsätzen mit sich selbst bestanden. Firmengründer Bodo Schnabel wurde verhaftet und später zu sieben Jahren Haft verurteilt. Auch der Fall EM.TV mit den Brüdern Thomas und Florian Haffa beschäftigte noch Jahre die Straf- und Zivilgerichte. Weitere Unternehmensvorstände wurden wegen Insiderhandels und Kursbetrugs verurteilt. Der Nemax erreichte am 9. Oktober 2002 einen Stand von nur mehr 318 Punkten und hatte somit in nur 31 Monaten über 96 Prozent seines Wertes (über 200 Mrd. Euro) eingebüßt. Viele der Aktien, die zum Höhepunkt der Spekulationsblase im März 2000 noch bei einem Wert von teilweise mehr als 100 Euro notierten, fanden sich als Penny-Stocks wieder.“

Ende 2004 war dann Schluss. Neuer Name, neues Glück. Im Oktober 2014 verkündet das Handelsblatt: „Jungen Start-ups soll der Zugang zu frischem Kapital erleichtert werden. Wirtschaftsminister Gabriel strebt deshalb die Einführung eines neuen Börsensegments an. Der Start-Up-Verband hofft auf einen schnellen Start 2015.“

„Wir brauchen ein neues Börsensegment“

Im Zuge von Basel III werden die Banken zwangsläufig manche Kredite nicht mehr vergeben können. Ob sie wollen oder nicht. Was bleibt ist eine Mischung aus Kapitalmarkt und institutionellen Lösungen. Dementsprechend ist mir um das Segment „Anleihen kleiner Unternehmen“ nicht bange. Und ich bin mir sicher, wenn es am Kreditmarkt für Mittelständler erstmal klemmt und Arbeitsplätze in Gefahr sind, kommen die Rufe aus der Politik ganz schnell. „Wir brauchen ein neues Börsensegment.“

Marius Hoerner, Portfolio Manager,
ARTUS Asset Management AG

Tipp: Sie haben gerade eine Kolumen aus unserem kostenlosen Newsletters „Der Anleihen Finder“ Dezember-2-2014 gelesen. Am Mittwoch, den 14.01.2015 erscheint unser nächster Newsletter. Melden Sie sich JETZT auf unserer Homepage (rechts oben unter “Newsletter”) für unseren Newsletter an! Es entstehen Ihnen keine Kosten.  “Der Anleihen Finder” gelangt automatisch im Zwei-Wochen-Rhythmus in Ihr E-Mail-Postfach. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.

Foto: Martin Reti / flickr

Anleihen Finder Kolumnen

Der Mittelstandsmarkt ist tot – Abgesang auf ein Marktsegment? Kolumne von Florian Weber, CEO der SCHNIGGE Wertpapierhandelsbank AG

Zinsgeschenke zu Weihnachten? – Vom Geben und vom Nehmen – Kolumne von Hans-Jürgen Friedrich, Vorstand der KFM Deutsche Mittelstand AG

Bedingt informationsbereit – Kolumne von Peter Thilo Hasler, Analyst bei Sphene Capital GmbH

Wo bleibt der Investitionsaufschwung im Mittelstand? – Kolumne von Michael Bulgrin, biallas communication & consulting GmbH

Wie geht „gerechte Risikoverteilung“? – Immobilien-Projektanleihen behaupten sich gut im Markt – Kolumne von Ursula Querette und Hubert Becker, Instinctif Partners

Über Veröffentlichungspflichten der Emittenten – Kolumne von Peter Thilo Hasler, Gründer und Analyst bei Sphene Capital GmbH

Sind Aktienhändler die besseren Rentenhändler? – Kolumne von Marius Hoerner, ARTUS Asset Management AG

„Sie müssen in der PR nicht immer alles sagen, aber Sie dürfen nie lügen“ – Vertrauen schaffen mit einer einfachen Kommunikations-Weisheit – Kolumne von Michael Bulgrin, biallas communication & consulting GmbH

Nach der Emission ist vor der Emission – Professionelle Kapitalmarktkommunikation ist essenziell für die Refinanzierung – Kolumne von Michael Bulgrin, biallas communication & consulting GmbH

Projektfinanzierung – Stimmt die Rendite- / Risikorelation? – Kolumne von Marius Hoerner, ARTUS Asset Management AG

„Außer Spesen nichts gewesen?” – Wie Mittelstandsanleihen ein reelles Abbild des Mittelstands werden – Kolumne von Christoph Karl, Senior Berater bei der BLÄTTCHEN & PARTNER AG

Mittelstandsanleihen in der Schweiz – Berner Kantonalbank stellt Handelsplatz für KMU-Unternehmensanleihen für kleine und mittlere Schweizer Unternehmen bereit – Handelbarkeit zunächst nur in Schweizer Franken und für Schweizer Unternehmen

Wer trägt eigentlich die Verantwortung? – Wie man zum Beispiel am Fall der MIFA Mitteldeutsche Fahrradwerke AG erkennen kann, dass Eigentumsrechte der Gläubiger missachtet werden – Kolumne von Peter Thilo Hasler, Gründer und Analyst bei Sphene Capital GmbH

Wie man als privater Anleger auf die Nullzinsphase reagieren kann: Deutschland ist Weltmeister: Exportweltmeister, Vertrauensweltmeister und jetzt auch Fußball-Weltmeister. Spitzenerfolge dank einer herausragenden Teamleistung – „Made in Germany“ – Eine Kolumne von Hans-Jürgen Friedrich, Vorstand der KFM Deutsche Mittelstand AG

Spreads – Ein nicht zu unterschätzender Baustein – Kolumne von Marius Hoerner, ARTUS Asset Management AG

Steht uns die Zinswende vor der Tür? – Ausblick: “Nachfrage nach Hochzinsanleihen – darunter auch den Mittelstandsanleihen – wird eine längere Zeit bestehen bleiben” – Kolumne von Florian Weber, SCHNIGGE Wertpapierhandelsbank

Beeinflusst die Entscheidung der EZB den Mittelstandsanleihemarkt? – Eine Kolumne von Christoph Karl, Senior Berater bei der BLÄTTCHEN & PARTNER AG

Differenzieren statt pauschalieren! – Ein Kommentar zur aktuellen Entwicklung des Marktsegmentes der Mittelstandsanleihen von Dirk Elberskirch, Vorsitzender der Börse Düsseldorf AG

Kann man Ratingagenturen und deren Ratingnoten bei der Auswahl von Unternehmensanleihen des Mittelstands (noch) vertrauen? – Kolumne von Hans-Jürgen Friedrich, Vorstand der KFM Deutsche Mittelstand AG

Schutzregeln von Anleihen: Warum Anleihekündigungen oft angedroht, aber nicht vollzogen werden und warum Besicherungen erst durch Wertgutachten wertvoll sind – Kolumne von Peter Thilo Hasler, Gründer und Analyst bei Sphene Capital GmbH

Börsenguru Max Otte: „Gelegentlich interessante Investments, aber Emittenten suggerieren, dass Anleihen weniger Risiko bergen, als dies tatsächlich der Fall ist“ – Was der Professor, der den Crash des Finanzmarktes vorhersagte, über Mittelstandsanleihen sagt – Interview

Wie Anleger dem drohenden Zu-Null-Spiel der Europäischen Zentralbank kontern können – Und warum sie so schnell wie möglich ihre festverzinslichen Anlagen überprüfen sollten – Kolumne von Hans-Jürgen Friedrich, Vorstand der KFM Deutsche Mittelstand AG

Best Practice Guide oder “Seid doch bitte anständig” – Kolumne von Marius Hoerner, ARTUS Asset Management AG

Fluchtburg Schweiz für Mittelstandsanleihen? Oder warum die Konsequenz der Schweizer Banken einen Best Practice Guide à la Deutsche Börse AG in der Schweiz überflüssig macht – Kolumne von Dr. Konrad Bösl, Vorstand der BLÄTTCHEN & PARTNER AG

Transparenz statt Risikoschutz: Warum Insolvenzen von Anleihe-Emittenten keine Rückschlage für die Börse Frankfurt sind – und warum die Emission der ALNO-Anleihe ein kalkuliertes Investitionsrisiko war

„Bei einem durchschnittlichen Kupon von 7,3 Prozent ist bei den 55 Anleihen im Entry Standard nur ein Default bei drei insolventen Unternehmen sehr wenig“ – Warum der Begriff „Mittelstandsanleihen“ irreführend ist und Journalisten die Rolle der Börse falsch darstellen – Interview mit Eric Leupold, Deutsche Börse AG

Nach dem Shitstorm gegen Mittelstandsanleihen: Björn Stübiger von Rödl & Partner sagt Ja zu Mittelstandsanleihen – „Selbstheilungskräfte eines lebenden Finanzierungsvehikels“

Zinsdeckungskennzahlen – Was Sie über Mittelstandsanleihen wissen müssen – DVFA-Kennzahlen Teil 3 – von Peter Thilo Hasler, Gründer und Analyst bei Sphene Capital GmbH

Mit dem „Best Practice Guide“ auf dem richtigen Weg! – Warum die Börse Frankfurt bei Unternehmensanleihen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Führungsrolle unter den Qualitätstreibern übernimmt – Kolumne von Hans-Jürgen Friedrich, KFM Deutsche Mittelstand AG

Mittelstandsanleihen-Bashing hinterfragt: Herr Gebhardt, wieso der scharfe Kontrast zwischen Kritik an den Börsen und hoher Nachfrage von Emittenten sowie Investoren? – Gastbeitrag von Cord Gebhardt, Börse Frankfurt

Windreich-Prokon Fusion: Warum der Zusammenschluss von Windreich und Prokon zur Pro-Wind AG Sinn macht – Kolumne von Marius Hoerner, ARTUS Asset Management AG

Die Stunde der Wahrheit steht den Mittelstandsanleihen erst noch bevor – Kolumne von Dr. Konrad Bösl, Vorstand der BLÄTTCHEN & PARTNER AG

Covenants bei Mittelstandsanleihen – Fluch oder Segen für Anleihegläubiger? – Und warum bei der MT-Energie-Anleihe ein Verzicht auf Covenants das lukrativere Ergebnis bieten könnte – Kolumne von Florian Weber, SCHNIGGE Wertpapierhandelsbank

Was Sie über Mittelstandsanleihen wissen müssen – DVFA-Kennzahlen Teil 2: Kapitalstrukturkennzahlen – von Peter Thilo Hasler, Analyst bei Sphene Capital GmbH

Die Chance nutzen! – Warum am Ende alle vom Re-Start der Mittelstandsanleihen profitieren können – Kommentar von Dirk Elberskirch, Vorsitzender des Vorstands der Börse Düsseldorf AG

Wer möchte schon, dass sein Geld fastet? – Was Disziplin mit Mittelstandsanleihen zu tun hat – Kolumne von Hans-Jürgen Friedrich, KFM Deutsche Mittelstand AG

Konsequente Inkonsequenz – Warum manche Emittenten die Börsen nicht ernst nehmen – Kolumne von Marius Hoerner, ARTUS Asset Management AG

Mittelstandsanleihen: „Schneller, Höher, Weiter, Mehr!“ – Kolumne von Dr. Konrad Bösl, Vorstand der BLÄTTCHEN & PARTNER AG

Mittelstandsanleihen – “Remember that credit is money“ – Kolumne von Britta Hosters, SCHNIGGE Wertpapierhandelsbank AG

Mittelstandsanleihen – Was Sie über sie wissen müssen – DVFA-Kennzahlen Teil 1: Kapitalstrukturkennzahlen – von Peter Thilo Hasler, Analyst bei Sphene Capital GmbH

Mittelstand ist Vertrauensweltmeister – Wie Anleger davon profitieren können – Kolumne von Hans-Jürgen Friedrich, KFM Deutsche Mittelstand AG

Anleihen Finder News jetzt auch als APP (iOS7)

APP

Viele Wege führen zur Anleihen Finder-APP: Einfach den Button anklicken, den Itunes-Store aufsuchen oder über appster.de die Anleihen Finder-App aufs IPhone oder IPad laden

Anleihen Finder News auf Twitter und Facebook abonnieren

Twitter Facebook

Experten-Chat

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

Bitte beachten Sie die .

Menü