Mittelstandsanleihen – Unterschiedliche Anforderungen der Börsenplätze und Auswirkungen
Kolumne von Hartmut Göddecke. Der schlechte Ruf von Mittelstandsanleihen gepaart mit der Geschäftspolitik der Börsen Stuttgart (Baden-Württembergische Wertpapierbörse) und Düsseldorf, die sich entweder aus dem Markt verabschieden wollen oder zumindest den Begriff „Mittelstand“ nicht mehr verwenden, wirft die Frage auf, ob unterschiedliche Emissionsvoraussetzungen der Handelsplätze an dieser Entwicklung beteiligt sind. Seit der Hochkonjunktur für Neuemissionen in den Jahren 2011 bis 2013, in denen jeweils bis zu 46 Anleihen ausgegeben wurden, ist diese Zahl seit einiger Zeit rückläufig. Damit einher ging 2015 eine Halbierung des Platzierungsvolumens im Vergleich zum Vorjahr. Nicht außer Acht zu lassen ist in diesem Zusammenhang jedoch auch die inzwischen geänderte Geschäftspraxis der Banken, die den Unternehmen wieder attraktive Konditionen auf dem Gebiet der Unternehmensfinanzierung bieten.
I. Detailblick auf die maßgebliche Börsenplätze
Mit Einführung des Segments Bondm betrat die Börse Stuttgart im Mai 2010 Neuland und schien eine Marktlücke im Bereich der Mittelstandsfinanzierung entdeckt zu haben. Als Teilsegment des dortigen Freiverkehrs, sollten Unternehmen angesprochen werden, die in puncto Publizitäts- und Transparenzpflichten über dessen Maß hinausgehen. Nachdem jedoch von dort 30 emittierten Unternehmen, sieben in die Insolvenz gefallen waren, löste man sich Ende 2014 vom selbst eingeführten Finanzierungsmodell und beschloss einen Aufnahmestopp für neue Anleihen im Bondm. Auch in Düsseldorf hat man turbulente Zeiten hinter sich. Nachdem der dortige Mittelstandsmarkt aufgrund bekannter Probleme – der Insolvenz von damals vier Emittenten – geschlossen wurde, man auf diese Form der Unternehmensfinanzierung aber nicht gänzlich verzichten wollte, wurde der bereits vorhandene Primärmarkt reformiert und die gelisteten Anleihen nach Risikoklassen in A, B und C gruppiert. Im Segment A sollten die Rendite maximal 2 Prozent über dem risikolosen Zins liegen, im Segment C sollen Anleihen gelistet werden, bei denen der Abstand mehr als 4 Prozent beträgt.
Auch beim heutigen Marktführer, dem Frankfurter Entry Standard für Unternehmensanleihen, kam es von über 60 Anleihen zu elf Ausfällen seit April 2011. An einen Rückzug aus dem Segment der Mittelstandsanleihen wird hier jedoch nicht gedacht, vielmehr wurde das Geschäft in den vergangenen beiden Jahren weiter ausgebaut. So wurde das Orderbuch der Neuen ZWL Zahnradwerk Leipzig GmbH (NZWL) im Februar 2015 bereits am ersten Tag wegen hoher Nachfrage vorzeitig geschlossen. Bis auf zwei Ausnahmen, wählten auch alle anderen Neuemissionen dieses und des letzten Jahres den Handelsplatz Frankfurt. Gleichzeitig wurden jedoch auch mehrere geplante Emissionen mangels Interesse der Anleger zurückgezogen.
II. Einbeziehungsvoraussetzungen
Die Emissionsvoraussetzungen der Handelsplätze für Mittelstandsanleihen in Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf, München, Hamburg und Hannover weichen in einigen Punkten voneinander ab, was in den letzten Jahren zu einem gewissen Wettbewerb zwischen den Börsen geführt hat. Das Vorlegen einer aktuellen Satzung oder eines aktuellen Gesellschaftsvertrages sowie den Handelsregisterauszug des emittierenden Unternehmens als erste Einbeziehungsvoraussetzung, teilen alle Handelsplätze miteinander. Gleiches gilt für die Prospektpflicht, nicht zuletzt da deren Einhaltung bereits von § 3 WpPG erfasst und somit lediglich deklaratorisch ist. Unter Transparenzgesichtspunkten kommt dem Prospekt – nicht anders als bei der Emission von Aktien – zentrale Bedeutung zu und zwingt den emittierenden Mittelständler sich mit der Veröffentlichung von Unternehmensdaten zu befassen, was diesem bis dato meist fremd gewesen sein dürfte. Die Erstellung des Prospekts sollte von der, den Emissionsprozess begleitenden Anwaltskanzlei übernommen werden.
Im Rahmen des Unternehmensratings zeigen sich erste Unterschiede zwischen den Börsen. So wird in Hamburg und Hannover auf ein Solches verzichtet, während es am Düsseldorfer Primärmarkt nicht verpflichtend ist. Vielmehr hält man dieses am Rhein für ein Scheinqualitätssiegel und setzt lieber auf die bereits erwähnte Einteilung der Anleihen in die Risikoklassen A, B und C. Diese hängt vom Abstand der Emissionsrendite zum Durchschnittszinssatz der drei- bis fünfjährigen Bundesanleihen („risikoloser Zins“) ab. Im Primärmarkt A werden dann Titel gelistet, deren Emissionsrendite bis zu zwei Prozent über dem risikolosen Zins liegt, im Primärmarkt B diejenigen zwischen zwei und vier Prozent und im Primärmarkt C alle Papiere mit einem Abstand von mehr als vier Prozent zum risikolosen Zins. Dies soll insbesondere Privatanlegern bestehende Risiken vor Augen führen.
Demgegenüber fordern die drei anderen Handelsplätze nach wie vor ein Bonitätsurteil, in Frankfurt und Stuttgart nebst Zusammenfassung des Ratingberichts, setzen jedoch keine Mindestanforderungen voraus. Für Anleihen in den Segmenten Entry Standard und Bondm der Börsen Frankfurt und Stuttgart gilt die Besonderheit, dass auf das Rating verzichtet werden kann, wenn Wertpapiere desselben Emittenten bereits zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind. Sowohl im Entry Standard und im Bondm als auch im Segment m:access der Börse München, besteht inzwischen die Möglichkeit ein Anleiherating anstatt eines Emittentenratings vorzulegen. Dies schafft insbesondere Klarheit bezüglich einer etwaigen Nachrangigkeit der Anleihe.
Die Aufnahme im Stuttgarter Bondm, der Mittelstandsbörse Deutschland der Börsen Hamburg und Hannover sowie des Frankfurter Entry Standard setzt die Vorlage des letzten Jahresabschlusses inklusive des Bestätigungsvermerks, bzw. dem Vermerk über dessen Untersagung voraus. Einbeziehungsvoraussetzung für den Düsseldorfer Primärmarkt ist in diesem Zusammenhang die Vorlage der letzten drei Jahresabschlüsse, davon mindestens der Letzte in testierter Form. Zur Aufnahme in den Münchener m:access muss der Emittent seit mindestens drei Jahren als Unternehmen bestehen. Regelmäßig wird auch ein Datenblatt mit allen unternehmensrelevanten Angaben gefordert.
Alle Handelsplätze außer Hamburg und Hannover fordern die Beteiligung eines Kapitalmarktexperten. Dieser begleitet den Emittenten bei Erfüllung der Einbeziehungspflichten, jedoch auch danach bei Einhaltung der Folgepflichten und muss an der jeweiligen Börse zugelassen sein. Darüber hinaus wird wertvolle Unterstützung in Bezug auf die Strukturierung der Anleihen geleistet und Investorenkontakte hergestellt. Die Bezeichnung dieser Experten variiert. Für die Börse Stuttgart heißt dieser Bondm-Coach, in Frankfurt Listing-Partner, in Düsseldorf Kapitalmarktpartner und in München Emissionsexperte. In Hamburg und Hannover wird es dem emittierenden Unternehmen selbst überlassen, ob und wenn ja, welche Leistung eines Kapitalmarktexperten in Anspruch genommen wird.
Auch in Bezug auf das Mindestvolumen fällt die Hamburger und Hannoversche Mittelstandsbörse Deutschland aufgrund ihrer liberalen Regelungen auf. Ebenso wie im Frankfurter Entry Standard und inzwischen auch im Stuttgarter Bondm sowie im Düsseldorfer Primärmarkt wird kein Solches gefordert. Lediglich die Börse München schreibt noch ein Nominalvolumen von mindestens 10 Mio. Euro vor. Zu beachten ist, dass dieses Volumen hier ursprünglich auf 25 Mio. Euro festgesetzt, bereits vor einiger Zeit aber reduziert wurde. Mit dem Wegfall des Düsseldorfer Mittelstandsmarktes und Überführung der Wertpapiere in den dortigen Primärmarkt entfiel die dort ursprüngliche Mindeststückelung der Anleihen von maximal 1.000 Euro. Gleiches gilt für die Mittelstandsbörse Deutschland, die schon seit Beginn des Segmentes keine Stückelung vorschreibt. Um auch kleinere Anlagebeträge und somit eine bessere Handelbarkeit möglich zu machen, halten alle anderen Handelsplätze an der genannten Stückelung fest.
III. Folgepflichten
Während der gesamten Laufzeit der Anleihe bestehen Folgepflichten des Emittenten, die dieser gegenüber dem Investor zu erfüllen hat. So schreiben alle betrachteten Handelsplätze die Veröffentlichung sowie die jährliche Aktualisierung eines Unternehmens- bzw. Finanzkalenders vor. Dieser soll unter anderem über Termine zur Veröffentlichung des Jahresabschlusses sowie über Zins- und Rückzahlungstermine informieren. Die Börsen Frankfurt, Hamburg und Hannover sehen zusätzlich ein ebenfalls jährlich zu aktualisierendes Unternehmenskurzportrait vor, in Stuttgart wird dies Factsheet, in Düsseldorf schlicht als Datenblatt bezeichnet. Schließlich muss auch das eingangs erwähnte Rating an den dieses fordernden Handelsplätzen in Frankfurt, Stuttgart und München mindestens jährlich durch ein Folgerating ersetzt werden.
Allen Börsen gemein ist die sog. Quasi-Ad-Hoc-Publizität, die den Emittenten, in Anlehnung an den regulierten Markt, zur unverzüglichen Veröffentlichung von den Börsenpreis der Anleihe beeinträchtigenden Umständen verpflichtet. Überwiegende Einigkeit herrscht auch bezüglich des innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf eines jeden Geschäftsjahres zu publizierenden Jahresabschlusses. Lediglich im Münchener m:access soll die Veröffentlichung der Kernaussagen des Jahresabschlusses genügen. Dafür ist hier die jährliche Abhaltung einer Investorenkonferenz verpflichtend. Bis auf München fordern inzwischen alle übrigen Handelsplätze zusätzlich die Veröffentlichung eines Halbjahres- bzw. Zwischenberichts.
IV. Fazit
Beim Vergleich der Segmente ist sicherlich auffällig, dass die Mittelstandsbörse Deutschland die liberalsten Regelungen aufweist und insbesondere auf ein Unternehmens- oder Anleiherating sowie einen Kapitalmarktexperten gänzlich verzichtet, was eine Emission aus Unternehmenssicht im Vergleich kostengünstiger gestalten kann. Die bei Einführung der Mittelstandssegmente mit Spannung erwartete Antwort auf die Frage, ob eben solche geringeren Anforderungen, die Zahl der Notierungen positiv beeinflussen und mithin zum Erfolg des Segments beitragen kann, muss aus heutiger Sicht verneint werden. Die Börsen Hamburg und Hannover sind Schlusslicht was die Zahl der gelisteten Anleihen angeht. Davor notieren München, Düsseldorf, Stuttgart und der bereits eingangs erwähnte Marktführer Frankfurt mit über 50 Mittelstandsanleihen.
Gerade vor dem Hintergrund, dass sich ca. 60 Prozent der Emittenten auf den Entry Standard konzentrieren, wo nicht nur durch den – wenn auch freiwilligen – Leitfaden Best Practice Guide die Anforderungen an Kapitalmarkteignung, Transparenz und Folgepflichten der Emittenten im Vergleich relativ hoch angelegt werden, lässt sich festhalten, dass restriktive Vorschriften zu Vertrauen und Erfolg führen. Auch die Entscheidung der Börse Düsseldorf erscheint bei näherer Betrachtung in anderem Licht. So bleibt man weiterhin im Anleihegeschäft aktiv, legt den Focus jedoch nicht mehr auf den Begriff Mittelstand, sondern vielmehr auf Anleihen kleiner und mittlerer Unternehmen. Die Einteilung in Risikoklassen ist zudem beispielhaft und macht auch dem unerfahrenen Anleger deutlich: Je höher der Kupon, desto höher das Risiko. Mithin ist wohl eher von einem Neustart unter anderem Namen auszugehen.
Hartmut Göddecke
Göddecke Rechtsanwälte
Zum Autor: Hartmut Göddecke
Gründer der Kanzlei GÖDDECKE RECHTSANWÄLTE
- – Ausbildung und Tätigkeit als Bankkaufmann
- – Geschäftsführer einer Fortbildungsakademie
- – Rechtsanwalt seit 1991
- – Fachanwalt für Steuerrecht
- – Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
- – Mediator (KAV)
Titelfoto: Boerse Stuttgart AG
Foto #1: Deutsche Boerse AG
Foto #2: mispahn / flickr.com
Foto #3: Sebastien Wiertz / flickr.com
Foto #4: Hartmut Göddecke
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