Mittelstandsanleihe: Wann ist der richtige Zeitpunkt für den IBO?

Mittwoch, 23. November 2022


Beitrag von Holger Clemens Hinz, Leiter Corporate Finance bei der Quirin Privatbank AG

Aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage halten sich KMU mit einem IBO (Initial Bond Offering) zurück. Doch sollten mittelständische Unternehmen auch die Finanzierung nach der Krisenzeit im Blick haben. Vor allem, da Kredite für Mittelständler weiterhin mitunter schwierig zu bekommen sind, und die Vorbereitung eines Börsengangs ihre Zeit braucht. Es kann sich daher trotz des derzeit schwierigen Marktumfeldes lohnen, bereits jetzt die Weichen für die erste Mittelstandsanleihe zu stellen.

Die angespannte Lage am Kapitalmarkt wirkt sich auch auf deutsche KMU-Anleihen aus. Ähnlich wie bei den IPOs (Initial Public Offering) ging auch die Zahl der Anleihe-Emissionen im ersten Halbjahr 2022 deutlich zurück. Laut einer Studie der Investor-Relations-Beratung IR.on AG hat sich die Zahl der IBOs mit neun Anleihen von neun Emittenten im Vergleich zum Vorjahr halbiert. Das platzierte Volumen verringerte sich sogar um zwei Drittel von 727,7 Mio. auf 247,6 Mio. EUR.

Vor allem die herausfordernde Gemengelage dürfte das eine oder andere Unternehmen davon abhalten, gerade jetzt eine Anleihe auf den Markt zu bringen. Gestiegene Energiepreise und Lieferkettenschwierigkeiten infolge des Krieges in der Ukraine und der Corona-Pandemie lassen zwar den Finanzierungsbedarf wachsen. Allerdings führt die generelle Unsicherheit auch dazu, dass geplante Emissionen zurückgehalten werden. Zumindest hatten von IR.on befragte Experten zu Jahresbeginn noch durchschnittlich 25 Ausgaben für das Jahr 2022 erwartet. Diese Zahl wird bis zum Jahresende aller Voraussicht nach nicht mehr erreicht werden.

EZB startet Zinserhöhungszyklus

Dass die Zeiten der Nullzins-Politik vorerst vorbei sind, kommt erschwerend hinzu. Nachdem die US-amerikanische Notenbank Fed im laufenden Jahr mehrfach den Leitzins angehoben hat – auf aktuell 3,75 bis 4 Prozent –, leitete Mitte Juli auch die bis dahin zögerliche Europäische Zentralbank (EZB) die Zinswende ein. Konkret bedeutet dies: Erstmals seit rund elf Jahren hat die EZB unter Leitung ihrer Vorsitzenden Christine Lagarade den Leitzins angehoben – und zwar auf zuletzt 2 Prozent.

Damit einhergehend endete auch eine Ära der billigen Kredite, die seit 2016 andauerte. In der Folge haben viele Banken nicht nur die Strafzinsen auf größere Spareinlagen gestrichen, sondern auch die Zinsen für Bankkredite nach oben angepasst. Und: Vor dem Hintergrund, dass die Inflation im Euroraum im Oktober mit 10,4 Prozent einen neuen Rekordwert erreichte, erscheinen weitere Zinserhöhungen der EZB wahrscheinlich.

Gestiegene Kredithürden für KMU

Für KMU mit Finanzierungsbedarf sind das nicht die allerbesten Aussichten, zumal kleine und mittelständische Unternehmen schon jetzt Schwierigkeiten haben, günstige Kredite abzuschließen. Nach einer Untersuchung des ifo-Instituts stieg die sogenannte Kredithürde zuletzt auf rund 28 Prozent. Das heißt, die Anzahl der Unternehmer, die das Bankverhalten in Kreditverhandlungen als restriktiv einstufen, ist zuletzt deutlich gestiegen. Die Umsetzung des internationalen Bankenstandards Basel III beziehungsweise Basel IV und die damit einhergehenden steigenden Eigenkapitalanforderungen dürften das Problem noch zusätzlich verstärken. Kurzum: Kleine und mittelständische Unternehmen sind – trotz des anhaltenden schwierigen Umfelds – gut beraten, sich nach für sie umsetzbaren Finanzierungsformen umzusehen.

Mittelstandanleihen als Alternative zum Bankkredit

Gegenüber dem klassischen Bankkredit bieten Unternehmensanleihen Mittelständlern viele Vorteile: So können sie durch ein weiteres Finanzierungsstandbein generell ihre Unabhängigkeit von Banken stärken und gleichzeitig die bestehende Finanzierungsstruktur optimieren. Insbesondere das Wachstum des Unternehmens, auch durch Übernahmen, lässt sich mithilfe von Anleihen gut finanzieren. Dabei bietet die festgelegte Laufzeit eine gewisse Planungssicherheit. Außerdem gewinnt das Unternehmen über eine Anleihe einen zusätzlichen, direkten Zugang zu Investoren. Zudem stärkt es seine Position gegenüber der Hausbank bei zukünftigen Darlehensverhandlungen und erhält seine Selbständigkeit durch den Fremdmittelcharakter der Anleihe.

Richtig ist aber auch, dass eine Anleiheemission für Unternehmen durchaus mit Aufwand verbunden ist. Dennoch bindet die Begebung einer Mittelstandsanleihe weitaus weniger Ressourcen, als viele Firmenchefs befürchten. Schließlich koordiniert die Emissionsbank nahezu den gesamten Emissionsprozess – von der Prüfung der Kapitalmarktfähigkeit über die Prospekterstellung und Vermarktung bis hin zur Platzierung der Anleihe. Hat ein Mittelständler einen erfahrenen Finanzierungspartner an seiner Seite, kann die Emission einer Unternehmensanleihe im Rahmen eines öffentlichen Angebots innerhalb von rund vier bis fünf Monaten abgeschlossen werden.

Schnellere Umsetzung mit professioneller Unterstützung

Bei der Ausgabe müssen Unternehmen vor allem darauf achten, den Anlegern die Solidität ihrer Geschäftsmodelle verständlich zu machen. Vor allem einseitige Geschäftsmodelle erhöhen das Ausfallrisiko. Diversifiziert aufgestellte Mittelständler erweisen sich seit jeher als stabiler und können flexibler und schneller auf neue Rahmenbedingungen reagieren. Mittelständler sind also gut beraten, sich auf ihre Werte zu besinnen, die ihren Erfolg begründen: umsichtige Planung, flexibles Handeln und nachhaltiges Wirtschaften.

Holger Clemens Hinz, Quirin Privatbank AG

Hinweis: Diese KOLUMNE erschien zunächst auf dem Kapitalmarkt-Blog der Quirin Privatbank.

Mehr Informationen zu alternativen Finanzierungsmöglichkeiten finden Sie auf dem Kapitalmarkt-Blog der Quirin Privatbank unter Finanzierung Archive – Kapitalmarkt Blog

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