„Marktgegebenheiten aus vor Corona-Zeiten werden wir so schnell nicht wiedersehen“ – Börsenspezialist Dirk Schneider beantwortet Leserfragen (FAQ – Teil 2)

Mittwoch, 29. April 2020


Die Börse in Zeiten der Corona-Krise – Börsenhändler und Anleihen-Experte Dirk Schneider von der Walter Ludwig GmbH Wertpapierhandelsbank in Frankfurt am Main beantwortet Leserfragen zur aktuellen Situation rund um den Wertpapierhandel in Corona-Zeiten.

Leserfrage: Hat sich der Wertpapierhandel an den Börsen zu Ende April 2020 wieder weitestgehend „normalisiert“?

Dirk Schneider,
Geschäftsführer der Walter Ludwig GmbH Wertpapierhandelsbank

Dirk Schneider: Also von einer Normalisierung kann derzeit noch nicht die Rede sein, wobei man hier auch die Frage stellen muss, ab wann Märkte als „normal“ zu bewerten sind? Aktuell sind die Finanzmärkte jedoch noch hochgradig illiquide. Es gibt kaum Geld/Briefseiten (Käufer und Verkäufer) in den meisten Anleihen und dadurch ergibt sich einfach eine unvorhersehbar hohe Volatilität. Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass wir uns jetzt längerfristig mit dieser Situation abfinden müssen. Marktgegebenheiten aus vor Corona-Zeiten werden wir höchstwahrscheinlich so schnell nicht wiedersehen.

Leserfrage: Woran erkenne ich, dass ich als Privatinvestor wieder einsteigen/investieren soll?

Dirk Schneider: Viele Privatanleger haben vollkommen unterschiedliche Anlagehorizonte – daher kann an dieser Stelle keine pauschale Aussage getroffen werden. Derzeit ist es wirklich ganz schwierig zu bewerten. Grundsätzlich bieten die Märkte aktuell sehr viele Chancen, aber überall wo Chancen sind, ist auch erhöhtes Risiko zu erkennen. Speziell bei Anleihen geht es darum, ob der Investor oder Anleger dem jeweiligen Unternehmen Geld leihen möchte. Es wird also im Prinzip die Wahrscheinlichkeit bewertet, ob ein Anleger sein Geld und die vereinbarte Verzinsung zum festgelegten Zeitpunkt zurück erhält oder eben nicht. Da aber die mittel- und langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Corona-Krise momentan noch überhaupt nicht absehbar sind, ist die Bewertung der Märkte derzeit wirklich sehr anspruchsvoll.

Leserfrage: Werden Unternehmensanleihen derzeit tatsächlich besonders stark gehandelt – wie in einigen Medien publiziert?

„Die EZB ist besonders aktiv und kauft Anleihen“

Dirk Schneider: Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die Umsätze bei Unternehmensanleihen zumindest in den letzten zwei Wochen nicht mehr ganz so hoch sind wie noch zu Beginn der Krise. Dennoch gibt es auch weiterhin erhöhtes Interesse. Zunächst haben im März und Anfang April noch viele Investoren Ihre Bestände abgestoßen und somit liquidiert. Inzwischen ist festzustellen, dass auch wieder Käufer im Markt aktiv werden. Die Unternehmen brauchen natürlich aktuell Liquidität und bringen auch viele Neuemissionen auf den Markt. Hier wird aktuell die EZB besonders aktiv und kauft die Anleihen von einigen Unternehmen direkt im Neuemissionsmarkt (Primärmarkt) auf.

Leserfrage: Warum sind die Anleihen-Kurse von vielen „operativ starken“ Emittenten weiterhin unter pari?

„Befinden uns noch nicht in der Erholungsphase“

Dirk Schneider: Letztendlich sind die Kurse immer ein Ergebnis aus dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Durch die aufkommende Krise sind die globalen Weltmärkte kurzzeitig sehr stark eingebrochen. An der Erholung nach der Krise kann festgestellt werden, welchen Unternehmen oder Geschäftsmodellen eine bessere Erholungswahrscheinlichkeit zugetraut wird als anderen. Derzeit befinden wir uns jedoch noch in der Krise und nicht in der Erholungsphase daher sind auch weiterhin einige Papiere stark unter Druck.

Leserfrage: Rechnen Sie aufgrund von „Corona“ mit vielen Ausfällen am KMU-Anleihenmarkt?

„KMUs in einer Krise meist noch manövrierfähiger“

Dirk Schneider: Essteht uns nicht zu, über Ausfälle zu spekulieren. Dabei kommt es auch wirklich auf den Einzelfall an. Global agierende Unternehmen haben es wahrscheinlich aktuell ein bisschen schwerer. Unterschiedliche Herangehensweisen entzweien ja sogar die Länder der EU. Nicht zuletzt dies macht es für das jeweilige Management sehr schwer, die Unternehmen durch die Krise zu führen. Anderseits sind KMU-Unternehmen meist noch keine großen Tanker und daher in so einer Krisenzeit manövrierfähiger. Ebenso muss zwischen Branchen unterschieden werden. Aktuell gibt es Bereiche wie beispielsweise die Gastronomie, in denen wirklich so gut wie überhaupt kein Geschäft getätigt werden kann und es gibt Branchen die vergleichsweise „gut“ weiter arbeiten können. Wie für alle Bereiche lässt sich hier keine valide Prognose treffen, wie sich die Krise auf die Sektoren auswirkt.

Leserfrage: Wie lange dauert es bis sich die Börse von den Corona-Auswirkungen generell erholen wird? Gibt es da historische Vergleichswerte?

Dirk Schneider: Für diese Krise gibt es keine historischen Vergleichswerte. Anders als zuletzt bei der Finanzkrise ist es bereits von Tag 1 ein globales Problem, welches sich über alle Lebensbereiche und Unternehmen zieht. Das zeigt auch die Dimension und dementsprechend schwierig ist jede Vorhersage. Grundsätzlich hat die Historie gezeigt, dass die Wirtschaft und auch die Finanzmärkte immer wieder gestärkt aus einer Krise hervorgegangen sind und davon gehen wir auch jetzt aus. Wir rechnen so in etwa sechs Monaten mit einer einigermaßen validen Bewertbarkeit der Situation und dann dementsprechend danach auch mit einer schnellen oder langsamen Erholung. Es kommt natürlich auch darauf an, wie die Politik und auch die Wirtschaft diese Krise nutzt. Aktuell wird uns gerade aufgezeigt, wie sehr wir in Deutschland beim Thema der Digitalisierung hinterherhinken. Es wäre also auch eine Gelegenheit, um nicht nur massiv Geld in Überlebenskredite zu pumpen, sondern auch wirklich nachhaltig in den Fortschritt (z.B. Digitalisierung oder ähnliches) zu investieren. Solche nachhaltigen perspektiven beflügeln dann auch die Börsen.

Leserfrage: Der DAX scheint seinen „Boden“ gefunden zu haben. Sind die Marktteilnehmer optimistischer als vor vier Wochen oder trügt der Schein?

„Finanzmärkte werden in naher Zukunft noch newsgetriebener sein als sie ohnehin schon sind“

Dirk Schneider: Die Marktteilnehmer sind sicherlich aktuell optimistischer als noch vor ein paar Wochen. Dennoch birgt die Situation die große Gefahr, dass die Dinge unterschätzt werden. Zwar wird aktuell in einigen Bereichen die Geschäftstätigkeit Stück für Stück wieder aufgenommen, aber die Krise ist noch in vollem Gange. An der Börse wird immer die Zukunft gehandelt und an dieser Stelle gibt es derzeit Licht am Ende des Tunnels. Die Probleme für die Emittenten (Lieferketten, schwache Absatzzahlen, fehlende Liquidität, Massenentlassungen etc.) werden uns aber noch eine lange Zeit begleiten und für große Volatilität sorgen. Ich denke die Finanzmärkte werden in naher Zukunft noch newsgetriebener sein als sie ohnehin schon sind. Es bleibt also eine sehr spannende Zeit.

Zur Person: Dirk Schneider begann 1987 seine Karriere bei der Dresdner Bank AG in Frankfurt am Main. Seit jeher ist das Wertpapiergeschäft sein Spezialgebiet, wodurch er sich zu einem ausgewiesenen Experten für den Wertpapierhandel entwickelte. Seit 2014 gehört er zur Geschäftsführung der Walter Ludwig GmbH Wertpapierhandelsbank und leitet dort den Wertpapierhandel.

TIPP: Lesen Sie hier den FAQ-Teil 1 „Pauschale Risikoabschläge bei allen Werten“ – Börsenspezialist Dirk Schneider beantwortet Leserfragen in der Corona-Krise

Anleihen Finder Redaktion.

Hinweis: Vielen Dank für Ihre Fragen und Anmerkungen. Sollten Sie weitere Fragen zum Börsen- /Anleihen-Handel in Zeiten der Corona-Krise haben, dann senden Sie uns diese bitte an info@anleihen-finder.de

Titelfoto: pixabay.com

Portraitfoto: Dirk Schneider – Walter Ludwig GmbH Wertpapierhandelsbank

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