Kapitalmärkte im Bann der Zinsentwicklung

Mittwoch, 16. Februar 2022


Ein Beitrag von Carsten Peter, Quirin Privatbank AG

Viele Anleger verbinden den Blick auf das neue Jahr mit der Hoffnung, endlich die Corona-Pandemie hinter sich zu lassen und wieder ein Stück Normalität zurückzugewinnen. Zugleich markiert 2022 einen Wendepunkt am Kapitalmarkt: Die Ära geringer Inflation und niedriger Zinsen wird aller Voraussicht nach enden.

Jerome Powell ist nicht zu beneiden: Der US-Notenbankchef muss in diesem Jahr die Inflation dämpfen, ohne den konjunkturellen Aufschwung zu gefährden – ein Balanceakt, der einer Quadratur des Kreises gleichkommt. Zwar haben die Finanzmärkte ein Jahr nach der Entdeckung von Corona-Impfstoffen die Pandemie bereits weitgehend hinter sich gelassen. Doch die Wirtschaft kämpft nach wie vor mit den unterbrochenen Lieferketten. Gleichwohl gehen die meisten Analysten zumindest mittelfristig von einer Fortsetzung der starken wirtschaftlichen Entwicklung aus. Demnach könnten die wichtigsten Industriestaaten bis Ende 2022 wieder vorpandemische Produktionsniveaus erreichen. Laut der aktuellen Prognose des ifo-Instituts dürfte hierzulande die Konjunktur im ersten Quartal noch stagnieren, bevor dann im Sommer eine deutliche Erholung einsetzt.

Ein Unsicherheitsfaktor ist indes die Inflation, die zuletzt im Euro-Raum mit 4,9 Prozent den höchsten Wert seit Beginn der Währungsunion erreichte. In den USA ist sie im November 2021 mit 6,8 Prozent sogar auf den höchsten Stand seit 40 Jahren gestiegen. Einer der Hauptgründe: Die wieder anziehende Nachfrage übersteigt das Angebot, das weiterhin unter den Lieferengpässen leidet. Die Europäische Zentralbank dürfte ihre lockere Geldpolitik dennoch beibehalten – eine Anhebung des kurzfristigen Zinssatzes vor Mitte 2023 halten Beobachter für sehr unwahrscheinlich. Jedoch stellt sich angesichts der hohen Teuerungsraten die Frage nach möglichen unerwarteten Zinserhöhungen in diesem Jahr.

Weiterhin keine Anlagealternative zu Aktien

Anders präsentiert sich die Lage in den USA, wo die Notenbank aufs Gaspedal drückt. Fed-Chef Powell dürfte die massiven Anleihekäufe schneller herunterfahren als bisher geplant und könnte auch die Zinsen früher als erwartet anheben. Zwei Erhöhungen in 2022 sind durchaus wahrscheinlich. Die realen Zinsen werden in diesem Umfeld zwar etwas steigen, sollten aber weiterhin auf einem tiefen Niveau bleiben.

Die Kapitalmärkte stehen angesichts dieser Gemengelage vor einem Wendepunkt, da die absehbare Überwindung der Pandemie das Ende der Ära geringer Inflation und niedriger Zinsen einläutet. Für Anleger ist dies kein Grund, pessimistisch nach vorn zu blicken. Gestalten die Notenbanken ihre Geldpolitik dies- und jenseits des Atlantiks wie bislang erwartet, gibt es auch weiterhin keine Anlagealternative zu Aktien – zumal sich die derzeit stärkste Investitionswelle der Nachkriegszeit in den USA fortsetzen dürfte. Auch ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt: In der Vergangenheit sank die Performance von Aktien zu Beginn eines monetären Straffungszyklus in den USA zwar unter den langjährigen Durchschnitt, blieb aber tendenziell im positiven Bereich.

Herausforderungen für Anleiheinvestoren

Unter dem Strich dürfen sich Anleger in diesem Jahr somit auf positive, aber aufgrund der weiter schwierigen wirtschaftlichen Lage auf unterdurchschnittliche Renditen einstellen. Um Gewinne zu erzielen, müssen sie aber intensiver suchen. Angesichts erhöhter Inflationsraten erscheinen Value-Strategien und defensive Werte sowie Titel mit einer hohen Preissetzungsmacht, die höhere Kosten über ihre Preise leichter weitergeben können, aussichtsreicher als klassische Wachstumstitel. Dies sind insbesondere Unternehmen mit starken Marken und solche, die von hohen Markteintrittsbarrieren profitieren.

Anleger von Anleihen sollten sich indes auf ein weiteres herausforderndes Jahr einstellen. Staatsanleihen aus dem Euroraum und anderen Industrieländern bieten wenig Renditepotenzial, während die Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen aus den Industrieländern nicht weit von ihren Tiefständen entfernt sind. Kürzer laufende Titel bergen zumindest die Möglichkeit, sich vor Volatilität im Zusammenhang mit Zinsschwankungen zu schützen, ohne auf viel Rendite zu verzichten.

Quirin Privatbank Redaktion.

Hinweis: Dieser Beitrag erschien zunächst im Januar 2022 auf dem Quirin Kapitalmarkt-Blog.

Mehr Informationen zu alternativen Finanzierungsmöglichkeiten finden Sie auf dem Kapitalmarkt-Blog der Quirin Privatbank unter Finanzierung Archive – Kapitalmarkt Blog

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