„Insolvenz aus heiterem Himmel? Offenbar nur für die Gläubiger“ – Kolumne von Peter Thilo Hasler
Kolumne von Peter Thilo Hasler. Von Konfuzius stammt der Satz: „Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten.“ Die Frage, die sich stellt, ist, was wir aus der Insolvenz von Enterprise Holdings lernen können. Zu hinterfragen ist insbesondere, ob es zu einem früheren Zeitpunkt Anzeichen für eine drohende Insolvenz gegeben hat.
Verbesserung der Solvenz
Betrachten wir den Sachverhalt, wie er von der Gesellschaft dargestellt wurde. Bis zur Veröffentlichung der Unternehmensmeldung zum Brexit am 5. Juli und sogar noch auf dem Conference Call am 1. August, den eine Münchener Bank für ihre Investoren abgehalten hat, hat der Vorstandsvorsitzende Andrew Flowers den Standpunkt vertreten, dass sämtliche neu konsolidierten Tochtergesellschaften positiv zum Konzernergebnis beitragen würden. Besonders betont wurde zu diesem Zeitpunkt auch die Einbringung eigenkapitalerhöhender Vermögensgegenstände im Wert von rund GBP 20 Mio.: Sie waren nicht mit einer Kaufpreiszahlung des Emittenten verbunden gewesen, da sie aus dem Privatvermögen der Gesellschafter eingebracht worden waren. Für den Anleihegläubiger: Eine vermeintlich komfortable Konstellation.
Verbesserung der Liquidität
Vergleichbare Statements des Firmengründers waren nicht die Ausnahme. In fast allen Pressemeldungen des ersten Halbjahres wurden für die Geschäftsjahre 2015/16 und 2016/17 erhebliche Ertragsverbesserungen in Aussicht gestellt. Neben den neuen Konzerngesellschaften sollten vor allem durch das Insourcing der Schadensfallbearbeitung Schadensfälle schneller und wesentlich günstiger bearbeitet werden als zuvor. Bei durchschnittlichen Einsparungen je Schadensfall von knapp GBP 2.000 ließen sich bei ca. 500 Schadensfällen pro Monat angeblich Einsparungen von etwa GBP 12 Mio. pro Jahr errechnen.
Verbesserung der Profitabilität
Hinzu kommt, dass die Pressemeldungen gerade in der jüngeren Zeit den Anleger mehr verwirrten als erhellten. So war in der Pressemeldung vom 25. Juli 2016 unter dem ausgesprochen positiv zu wertenden Website-Link „Enterprise Holdings weitet Geschäft mit bestehendem Managing General Agent (MGA) aus, um Kapitalbedarf zu senken und Margen zu erhöhen“ zu lesen, dass die Gesellschaft die Aufsichtsbehörde „gebeten“ hat, die geschäftlichen Aktivitäten der Gesellschaft zu übernehmen, sowie Vorgaben für die Abwicklung der Gesellschaft zu erlassen. Das nun hörte sich zwar gar nicht mehr so positiv an, wer weiterlas erfuhr aber immerhin, dass durch die neue MGA-Struktur „Prämieneinnahmen in ähnlichem Umfang wie bei Enterprise Insurance Company erlöst werden [sollten], allerdings ohne Kapitalkosten und mit deutlich reduzierten Gemeinkosten“.
Wortwörtlich wurde diese Ertragsprognose in einer Unternehmensmeldung am 25. August wiederholt.
Am 24. September wurde ein Schutzschirmverfahren nach englischem Recht eingeleitet.
Ist es möglich, dass sich die drei wesentlichen Kriterien für die Geschäftsentwicklung eines Unternehmens, Profitabilität, Liquidität und Solvenz, in weniger als einem Monat so rapide verschlechtert haben, dass der Zahlungsausfall erklärt werden muss?
Wenn Anleger es zu spät erfahren
Der Verdacht drängt sich auf, dass vom Vorstand die tatsächliche Entwicklung der Finanzlage verschleiert wurde. Dabei profitierte das Management nicht zuletzt davon, dass Unternehmen am Entry Standard nicht dazu verpflichtet sind, Neunmonatszahlen zu veröffentlichen. Der zuletzt veröffentlichte Finanzbericht zum ersten Halbjahr 2015/16, datiert vom 16. Dezember 2015, ist bereits zehn Monate alt. In diesem war, wie sollte es auch anders sein, davon die Rede, dass sich die wesentlichen positiven Effekte aus den neu eingebrachten Gesellschaften erst im Ergebnis des zweiten Halbjahres 2015/16 widerspiegeln werden. Ob dem so ist, werden wir, wenn überhaupt, so schnell nicht erfahren, denn die Insolvenzmeldung kam nur eine Woche vor dem beabsichtigten Veröffentlichungstermin des Konzernabschlusses 2015/16 – der nun voraussichtlich in der Schublade bleibt.
Waren die Inhalte der unternehmerischen Berichterstattung bislang darauf ausgerichtet, den Anleihegläubiger von einer Ertragsverbesserung zu überzeugen, ist die Wortwahl der letzten Pressemeldungen an Zynismus kaum zu überbieten. Wie es im „besten Interesse aller Gläubiger“ sein kann, wenn diesen die ihnen zustehenden Zinszahlungen verwehrt werden, bleibt das Geheimnis der im Übrigen vom Vorstand eingesetzten Insolvenzverwalter.
Ebenfalls dem Lehrbuch der Finanzkommunikation scheint der Satz entnommen worden zu sein, wonach das Management auf „potentielle, aber fälschliche rechtliche Schritte aufmerksam [gemacht wurde], die dazu führen könnten, Mittel umzulenken, die dafür bestimmt sind, das Geschäft zu restrukturieren und neu zu gestalten“. Was von der Gesellschaft als „Schachzug“ und „best mögliche Lösung für ihre Gläubiger“ bezeichnet wird, hatte am kommenden Handelstag einen Kursverfall der Erstanleihe auf 5,60% zur Folge.
Wie früh wusste Andrew Flowers über die offenbar desolate Geschäftsentwicklung Bescheid? Mit dieser Frage dürfte sich demnächst die Finanzaufsicht BaFin beschäftigen. Zumindest steht der Verdacht im Raum, dass der Versicherungsvorstand die Öffentlichkeit zu spät über die tatsächliche Ertragsentwicklung informiert und damit gegen die Marktmissbrauchsverordnung verstoßen hat. Diese sieht bei besonders schweren Verstößen neben Haftstrafen drankonische Geldstrafen vor, die für juristische Personen bis zu 15 Mio. Euro und für Führungskräfte bis zu 5 Mio. Euro betragen können.
Peter Thilo Hasler,
Gründer und Analyst von Sphene Capital
Titelfoto: KMR Photography „Stock Photography – Canadian Money“ / flickr. com
Foto: Pictures of Money / flickr.com
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