„Fußnote“: Wandelanleihen – Von der Mottenkiste in die Auslage

Montag, 13. September 2021


Ein Blick auf den KMU-Anleihemarkt von Markus Knoss, BankM AG:

Wandelanleihen sind so populär wie lange nicht mehr. Galt das hybride Finanzierungsinstrument bis vor kurzem als angestaubt, vergeht aktuell kaum eine Woche ohne neue Emission. Aufgrund der individuellen Ausgestaltungsmöglichkeiten gleicht dabei kaum eine Transaktion der anderen. Auch die Vorteile für Emittenten und Investoren sind vielfältig.

Was haben ein kriselnder Großkonzern wie Tui, eine etablierte Handelsplattform wie Zalando und ein innovativer Newcomer wie die Niiio Finance Group gemeinsam? Alle drei Unternehmen haben zuletzt Wandelanleihen ausgegeben. Und liegen damit voll im Trend: 2020 wurden so viele Wandler emittiert wie seit über zehn Jahren nicht mehr. Liegt der langjährige Durchschnitt weltweit bei etwa USD 85 Mrd., wurde 2020 ein Emissionsvolumen von USD 188 Mrd. gezählt. Und allein in der ersten Hälfte 2021 waren es schon wieder USD 115 Mrd. Auch in Deutschland ist die Nachfrage unverändert groß. Zuletzt hat mit der Eyemaxx Real Estate AG ein alter Bekannter am KMU-Anleihemarkt die Begebung einer Wandelanleihe angekündigt.

Doch woher kommt die neugewonnene Popularität? Gerade im Niedrigzinsumfeld fristeten Wandelanleihen lange Zeit ein Nischendasein. Zu einfach konnten Unternehmen sich anderweitig finanzieren. Das hat sich seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie geändert. Der Kreditzugang hat sich verschlechtert und die Zinsen am klassischen Anleihemarkt sind gestiegen. Gleichzeitig präsentiert sich der Aktienmarkt zwischen Angst und Euphorie extrem volatil, was die Eigenkapitalaufnahme erschwert. In diesem Umfeld bieten Wandelanleihen eine willkommene Alternative. Flexibel gestaltbar, widerstandsfähig bei Marktkapriolen und zinsgünstig durch die Gewährung der Wandlungsoption und die Verringerung des Rückzahlungs- oder Prolongationsrisikos.

Mehr als ein Rettungsanker für Unternehmen

Insbesondere für bereits börsennotierte Unternehmen sind Wandelanleihen eine attraktive Möglichkeit schnell, unkompliziert und kosteneffizient Kapital aufzunehmen. Viele haben dies in Pandemiezeiten genutzt, um ihre Finanzierungsstruktur und ihr Cashflow-Profil zu verbessern. Gerade angeschlagene Unternehmen wie Tui oder die Lufthansa setzten zu Restrukturierungszwecken auf Convertibles. Aber Wandelanleihen sind weit mehr als eine Rettungsfinanzierung. Firmen mit stabiler Geschäftsentwicklung können sich auf diesem Weg langfristig niedrige Zinsen sichern und Wachstumsunternehmen profitieren vom vergleichsweise einfachen Marktzugang.

Anders als bei traditionellen Unternehmensanleihen setzen Investoren bei Wandlern nämlich deutlich seltener ein (Investment Grade) Rating voraus. Gerade schnell wachsende Technologieunternehmen haben deshalb in der Vergangenheit auf Wandelanleihen zurückgegriffen. Und auch aktuell prägen Unternehmen wie die Niiio Finance Group die Anlageklasse. Die Görlitzer haben es sich zum Ziel gesetzt mit ihrer Cloud-basierten Software-as-a-Service-Plattform das Asset- und Wealth Management zu digitalisieren. In den kommenden fünf Jahren soll der Konzernumsatz von zuletzt EUR 2,3 Mio. auf rund EUR 85 Mio. zunehmen. Zahlreiche Small Cap Fonds, Vermögensverwaltungen sowie strategische Investoren und professionelle Privatanleger nutzen diesen Sommer die Chance, sich über den Plichtwandler im Gesamtvolumen von EUR 5 Mio. eine Erfolgsbeteiligung zu sichern.

Der günstige Kupon von 4,0 Prozent zeigt wie sehr eine starke Equity Story das Pricing einer Wandelanleihe positiv beeinflusst. Entsprechend steigt die Zahl  der Emittenten aus angesagten Bereichen wie Software, E-Commerce oder Green Tech. Darunter prominente Namen wie Zalando, Delivery Hero oder Hello Fresh. Neben Wachstumschancen spielen auch Nachhaltigkeitskomponenten eine zunehmend wichtige Rolle – die ersten grünen Wandelanleihen wurden bereits platziert. So hat die Dürr AG ihre 150-Millionen-Euro-Wandelanleihe 2020/2026 über einen ESG-gebundenen Zins-Swap an eine Nachhaltigkeitskomponente gekoppelt. Damit wird auch diese Finanzierungsform künftig vom wachsenden Investoreninteresse an nachhaltigen Assets profitieren.

Attraktives Risiko-/Renditeprofil für Investoren

Aber schon jetzt ist die Nachfrage nach Wandelanleihen längst nicht nur von den Unternehmen getrieben. Auch bei den Investoren ist das Instrument beliebt, viele Emissionen sind überzeichnet. Gerade bei Wachstumsunternehmen ist es eine Chance, sich frühzeitig einen Zugriff zu sichern. Darüber hinaus bieten tägliche Stückzinsen einen Ausgleich für eventuelle Durststrecken in der Kursperformance, den es so bei direkten Aktienengagements nicht gibt (die wenigsten Wachstumsunternehmen schütten Dividenden aus). Vor allem aber vereint die Anlageklasse das Kurssteigerungspotenzial von Aktien mit der anleihetypischen Absicherung nach unten. Liegt kein besonderes Bonitäts- und Ausfallrisiko vor, gibt es einen klaren Floor. Eine Faustregel besagt, dass Wandelanleihen die Aufwärtsbewegung der unterliegenden Aktie zu rund zwei Dritteln mitmachen, Abwärtsbewegungen hingegen nur zu einem Drittel.

Diese Asymmetrie macht Wandler gerade im aktuellen Börsenumfeld beliebt. Obwohl nur etwa halb so volatil wie Aktien, war die Performance 2020 klar besser: Während der globale Aktienmarkt um rund 12 Prozent zulegte, waren Wandelanleihen mehr als 20 Prozent im Plus. Langfristige Untersuchungen zeichnen ein ähnliches Bild. Laut Fisch Asset Management erzielten globale Wandelanleihen zwischen 1994 und 2018 eine jährliche Rendite von 7,1 Prozent bei einer Volatilität von 9,6 Prozent. Der MSCI-World-Index erreichte im gleichen Zeitraum eine niedrigere Performance (6,6%) bei ungleich höherer Volatilität (14,7 Prozent). Je nachdem wie nah am Kurs der Bezugspreis liegt, können bereits mit Start der Emission spannende Arbitragemöglichkeiten entstehen.

Durch ihre negative Korrelation zu Staatsanleihen und die geringe Korrelation zu Investment-Grade-Titeln sind Wandler auch in einem reinen Anleiheportfolio eine attraktive Beimischung. Zumal sie einen guten Schutz gegen Inflationsängste bieten. Denn wenn die Zinssätze steigen, gewinnt die Optionskomponente im Regelfall an Wert. Zusammen mit der typischerweise kürzeren Duration, reagieren Wandelanleihen dadurch weniger sensibel als andere Anleihen auf Zinsschwankungen. Ihr besonderes Risiko-/Renditeprofil macht Wandelanleihen für Investoren, die Solvency II unterliegen zudem auch aus regulatorischen Gründen interessant. So kann die Eigenkapitalunterlegung unter Umständen niedriger ausfallen als bei anderen Anlageformen.

Auf die richtige Struktur kommt es an

Ein Hauptargument gegen Wandelanleihen ist häufig die drohende Verwässerung der Altgesellschafter. Hier kommt es auf die richtige Strukturierung an. Wann kann die Anleihe in Aktien gewandelt werden, zu welchem Preis kann sie gewandelt werden, was für sonstige Konditionen werden vereinbart? Außer dem Namen haben die meisten Wandelanleihen oft wenig gemeinsam. Ob mit Prospekt oder als Privatplatzierung, mit oder ohne Bezugsrecht, als Pflichtwandler oder mit Wandlungsfenster: Der rechtlichen Ausgestaltung sind fast keine Grenzen gesetzt. Genau diese Flexibilität ist ein wichtiger Erfolgsfaktor.

In ihrer simpelsten Form kann ein Investor zu einem festen Zeitpunkt – meistens am Ende der Anleihelaufzeit – und in einem festgelegten Umtauschverhältnis Aktien beziehen, anstatt den Nennwert der Anleihe zurückzuerhalten. Für die Wandlungsoption akzeptiert der Käufer in der Regel einen niedrigeren Nominalzins. Wollen sich die Altgesellschafter nicht auf dem aktuellen Kursniveau  verwässern lassen, hilft ein entsprechendes Agio. Je höher der Bezugspreis, desto stärker partizipieren zunächst die bestehenden Investoren an einer Wertsteigerung. Auch über eine Rückkaufoption oder die Verknüpfung der Wandlung an bestimmte Eintrittsvoraussetzungen kann der Verwässerungseffekt reduziert werden. All dies spiegelt sich natürlich in der Verzinsung wider.

Am Ende müssen die Eigenschaften von Aktien und Anleihen im Gleichgewicht sein. Bei Niiio kam die Ausgestaltung recht nah an eine klassische Barkapitalerhöhung heran. Spätestens am Ende der Laufzeit 2026 wird in Aktien gewandelt, der Wandlungspreis liegt mit 1,50 Euro nahe am aktuellen Aktienkurs. Bei Kursen von 2,00 Euro erfolgt eine automatische Wandlung. Nicht börsennotierte Mittelständler können mit dem Instrument ihren Börsengang vorbereiten. Die Wandlung erfolgt dann in Form von handelbaren Aktien im Rahmen des IPOs.  Wie etwa von der Belano Medical AG oder der blueplanet Investments AG erfolgreich praktiziert. 

Mit ihrer hybriden Form tragen Wandelanleihen dazu bei, Bond- und Aktienmärkte enger zu verknüpfen. Dies entspricht dem BankM-Ansatz, keine festen Produkte zu vertreiben, sondern stets die zu Emittenten und Investoren passende Finanzierung zu suchen. Wandelanleihen dürften dabei in den kommenden Monaten eine unverändert wichtige Rolle spielen. Denn die bevorstehende Bundestagswahl verspricht weitere Unruhe an den Märkten. Davon sind alle Emittenten betroffen. Ganz gleich ob sie Tui, Zalando oder Niiio heißen.

Markus Knoss, BankM AG

Markus Knoss ist zugelassener Börsenhändler und Certified Investor Relations Officer und verfügt über jahrelange Erfahrung in verschiedenen leitenden Positionen im Aktienhandel, Salestrading und Portfoliomanagement. Der ausgewiesene Experte für Nebenwerte im deutschsprachigen Raum ist seit 2013 für die BankM AG tätig und verantwortlich für den Bereich Business Development DACH.

Titelfoto: pixabay.com

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