„Fußnote“: Unser Mittelstand kann Krise!

Montag, 30. Januar 2023


Ein Blick auf den KMU-Anleihemarkt von Markus Knoss, BankM AG:

Nach der Krise ist vor der Krise hieß es in den vergangenen Jahren zumeist. Der Mittelstand hat dabei eine bemerkenswerte Resilienz entwickelt. Eine Verstetigung des „whatever it takes“-Trends bedroht diese Widerstandsfähigkeit mittelfristig jedoch. Insbesondere die Auswirkung der Zinsänderungen auf die Jahresabschlüsse dürfte 2023 noch für Gesprächsstoff sorgen.

Die Erfahrungen der letzten 15 Jahre führen uns deutlich vor Augen, dass eine stabile weltwirtschaftliche Entwicklung mehr Ausnahme als Selbstverständlichkeit ist. Wie schnell die Wellen mittlerweile hin und her schwappen, zeigt der aktuelle Stimmungsumschwung. Prägten in den letzten Monaten noch Inflation und Rezessionsängste das Bild, kommt auf einmal die Kauflust zurück und es wird wieder Wachstum erwartet.

2023 werde weniger schlimm als befürchtet, sagte IWF-Chefin Kristalina Georgiewa beim Wirtschaftsgipfel in Davos stellvertretend für viele andere und stellte für Deutschland eine deutliche Prognoseanhebung in Aussicht. Gleichwohl warnte sie davor, jetzt von „zu pessimistisch“ auf „zu optimistisch“ umzuschalten. Dazu passt eine aktuelle Studie der KfW Bank, die Deutschland vor einer Ära des schrumpfenden Wohlstandes sieht.

Chance statt Risiko

Die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft werden in der nächsten Zeit herausfordernd bleiben, so viel ist klar. Waren Worte wie Veränderungen und Anpassungsprozesse in Deutschland in der Vergangenheit jedoch immer mit dem Wort „Risiko“ behaftet, beobachte ich seit einiger Zeit gerade beim Mittelstand eine gewisse Veränderung. Chancen und Opportunitäten werden verstärkt wahrgenommen, sicherlich spielen hier auch die Erfahrungen der durchgestandenen Coronaphasen eine wichtige Rolle.

Unser Mittelstand kann Krise. Diese bemerkenswerte Resilienz ist allerdings keinesfalls in Stein gemeißelt. Auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen. In den vergangenen Krisen gelang dies eigentlich relativ gut. Ist ein angewandter Keynesianiums, wie wir ihn in den vergangenen Jahren erlebt haben, in Krisenzeiten zur Unterstützung der Anpassungsfähigkeit und als Innovationstreiber durchaus berechtigt, darf der Ruf nach dem Staat aber nicht mit jeder Krise immer lauter werden, sonst wird die Resilienz der Unternehmen letztendlich eher geschwächt.

Die durch den seit langer Zeit deutlich steigenden Anteil der Sozialausgaben am BIP dokumentierte zunehmende Abwälzung der Verantwortlichkeiten von der Gesellschaft auf den Staat ist diesbezüglich ein deutliches Alarmzeichen. Die V-Förmige Erholung der Wirtschaft nach der Corona-Pandemie und vermutlich auch im Zeitablauf des Ukrainekrieges verstärken diesen „whatever it takes“-Trend. Sich aus dieser Spirale der gewohnten Transfers loszueisen, wird immer schwerer. Nichts offenbart das so deutlich wie die Inflationsentwicklung, die den notwendigen Anpassungsprozess der Wirtschaft bremst und zu einer noch größeren Einmischung von Regierungen und Notenbanken führen dürfte.

Zinsklippe noch nicht überwunden

Gerade mit Blick auf nach IFRS bilanzierende Unternehmen hat der Kapitalmarkt die Auswirkungen des veränderten Zinsumfelds auf die Bilanzen und die Gewinn- und Verlustrechnungen der Emittenten meiner Meinung nach noch nicht ausreichend berücksichtigt. Natürlich geht es hier in erster Linie um Finanzmathematik, aber bei einigen Unternehmen dürfte dies zu deutlichen Gewinnwarnungen führen, bei anderen hingegen zu Prognoseanhebungen. Dabei ist es ganz gleich, ob ein durch das sogenannte „Trigger Event Zinsänderung“ vorgeschriebener Impairment-Test ad-hoc hätte durchgeführt werden müssen, oder ob dies erst im Abschluss für das Jahresabschluss 2022 verarbeitet wird.

Früher oder später müssen finanzielle Vermögenswerte jedenfalls zum beizulegenden Zeitwert bewertet werden, was im aktuellen Zinsumfeld eine deutliche Abschreibung zur Folge hat. Genauso werden Werthaltigkeitstests (Impairment) von Firmenwerten und Nutzungsrechten anhand der aktuellen Zinskosten bewertet, dies bedeutet ein Absinken dieses Vermögens und ist ebenfalls stark ergebnisbelastend. Umgekehrt führt der Anstieg des Abzinsungssatzes bei langfristigen Rückstellungen zu einem erfolgswirksamen Absinken der Nettoschulden. Auch bei Pensionsrückstellungen resultiert dieses Vorgehen in sinkende Nettoverbindlichkeiten und eine deutliche Entlastung der Bilanz. 

Verhaltener Jahresauftakt

Da Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer den betreuten Unternehmen augenscheinlich mehrheitlich zur Verarbeitung der Zinswendenklippe im Jahresabschluss geraten haben, dürfte die Unsicherheit noch bis Ende des ersten Halbjahres anhalten und für so manchen Gesprächsstoff sorgen. Entsprechend zäh dürfte sich das Emissionsgeschehen am KMU-Anleihemarkt in den kommenden Monaten entwickeln. Gerade Anleihedebütanten haben es weiter schwer, wenn sie nicht gerade aus dem Bereich der Erneuerbaren Energien kommen.

Ab dem Sommer rechnen wir dann – auch aufgrund des vielerorts bestehenden Refinanzierungsbedarfs – mit einer Zunahme der Emissionstätigkeit. Insgesamt gehen die führenden Institute laut Umfrage von IR.on mit 22 Emissionen von einer Wiederholung des schwachen Vorjahres aus. BankM liegt mit 25 prognostizierten Emissionen leicht über dem Durchschnitt. Positiv hervorzuheben ist, dass die Transparenz nicht unter den schwierigen Marktverhältnissen zu leiden scheint. Das Durchschnittsergebnis von 4,0 von 5 Punkten beim IR.Score sehen wir als Bestätigung unserer These – der Mittelstand kann Krise.

Markus Knoss, BankM AG

Markus Knoss ist zugelassener Börsenhändler und Certified Investor Relations Officer und verfügt über jahrelange Erfahrung in verschiedenen leitenden Positionen im Aktienhandel, Salestrading und Portfoliomanagement. Der ausgewiesene Experte für Nebenwerte im deutschsprachigen Raum ist seit 2013 für die BankM AG tätig und verantwortlich für den Bereich Business Development DACH.

Portraitfoto: BankM AG

Titelfoto: pixabay.com

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