„Fußnote“: Ukraine-Krieg – Paradigmenwechsel oder Back-to-Business

Dienstag, 5. April 2022


Ein Blick auf den KMU-Anleihemarkt von Markus Knoss, BankM AG:

Zeitenwende. Kaum ein Begriff wurde seit dem Einmarsch der russischen Armee in der Ukraine häufiger verwendet. Tatsächlich sind auch am Kapitalmarkt Veränderungen sichtbar. Auf einmal stehen nicht mehr ESG-Anlagen, sondern Rüstungs- und Ölkonzerne im Mittelpunkt. Das wird nicht so bleiben, aber Emittenten und Investoren müssen der neuen Komplexität Rechnung tragen.

An ESG-Themen führt am Kapitalmarkt schon länger kaum noch ein Weg vorbei – Warnungen vor einer Blasenbildung inklusive. Bis zuletzt ist immer mehr Geld in ökologisch, sozial oder governance-technisch nachhaltige Anlagen geflossen. Mit deutschen Emittenten auf Position 2 hinter den USA, erhöhte sich das weltweite Volumen neu ausgegebener Green-Bonds 2021 nach Angaben der Climate Bond Initiative auf 517 Milliarden US-Dollar. Noch 2019 waren es weniger als 100 Milliarden gewesen.

Der russische Einmarsch in der Ukraine hat jedoch auf vielen Ebenen ein Umdenken ausgelöst. Vormals verpönt, sind die Titel traditioneller Energiekonzerne und Rüstungshersteller seit Kriegsbeginn in den Fokus gerückt und haben massiv an Wert gewonnen. Zuflüsse in ESG-Anlagen verlangsamen sich nach Berichten des Finanzinformationsdienstleisters Morningstar aktuell hingegen. Nicht nur gefühlt sind Klimawandel und Nachhaltigkeit gegenüber Sprit und Waffen in den Hintergrund gerückt.

Katalysator statt Knall

Wer schon zuvor vor einer Blasenbildung gewarnt hatte – vergangenen Herbst wies sogar die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich auf eine mögliche Überbewertung von ESG-Investments hin -, sieht sich bestätigt. Droht dem Segment jetzt ein ähnliches Schicksal wie der Dotcom-Industrie um die Jahrtausendwende? Wohl kaum. Zwar traf in jeweils neuen Technologien damals wie heute zu viel Liquidität auf in der Anfangsphase zu wenige profitable Geschäftsmodelle und mit der plötzlichen Verschärfung der monetären Bedingungen gibt es eine weitere Parallele. Doch die Umlenkung europäischer Finanzströme in Richtung nachhaltiger Vermögenswerte ist erklärtes Ziel von Politik und Regulatoren und die „grüne Inflation“ erfüllt diesbezüglich eine wichtige Signalfunktion.

Mittel- und langfristig wird das ESG-Segment deshalb sogar noch deutlich an Bedeutung gewinnen. Und machen wir uns nichts vor, so lange es nicht zu einem Nuklearschlag kommt, dürfte der aktuelle Krieg mit Blick auf Innovationen und Umsetzungsgeschwindigkeit sogar als Katalysator wirken. Mittlerweile ist auch dem Letzten klar geworden, dass die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen beendet werden und es in den nächsten Jahrzehnten mehr denn je darum gehen muss, die gesamte Wirtschaft in allen Sektoren klimafreundlicher und insgesamt nachhaltiger zu gestalten. Dass es dazu erst einer menschlichen Katastrophe bedarf, ist tragisch. Aber Zerstörung war in der Menschheitsgeschichte schon immer der Nukleus für Evolutionen.

Grüne Transformation als historische Chance

Für eine Wissensnation wie Deutschland mit ihrem innovativen Mittelstand und unzähligen Hidden Champions ist die grüne Transformation eine historische Chance, die es zu finanzieren gilt. BDI-Chef Siegfried Russwurm schätzt den Investitionsbedarf allein hierzulande auf 860 Milliarden Euro. Dies ist nur mit Unterstützung der Finanzmärkte darstellbar und ESG wird hier das wesentliche Selektionskriterium bleiben. Speziell die junge Anlegergeneration der neuen Erben, Berufseinsteiger und Digital Natives will Nachhaltigkeit, Fairness und Rechtstreue nicht länger wegdiskutieren und lenkt seine Finanzallokation entsprechend. Deutschland muss jetzt zeigen, dass es in Tesla-Geschwindigkeit Rahmenbedingungen insbesondere im Bereich der (Energie)Infrastruktur sowie bei Genehmigungsverfahren schafft. Dann steht dem Markteintritt innovativer neuer Technologien nichts mehr im Wege und wir könnten hier bereits im weiteren Jahresverlauf viele Neuemissionen sehen. 

Allein das steigende Zinsumfeld und die Geldmarktpolitik von EZB und FED schweben wie ein Damoklesschwert über dem Kapitalmarkt. Einhergehend beobachten wir bei Investoren eine anhaltende Risiko-Chancen-Kalibrierung. Schon jetzt haben sich die Bewertungsmaßstäbe zum Teil dramatisch verringert und die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen. Allerdings dürfte zumindest die EZB mit Zinsschritten im aktuellen Umfeld extrem vorsichtig sein und solange die Geldmengenausweitung strikt mit direkten Investitionen einhergeht und somit im Wirtschaftskreislauf ankommt, ist die Gefahr einer Hyperinflation gering. Am Beispiel Japan ist dies seit Jahrzehnten zu beobachten.

Wo liegt ein fairer Kupon?

Ausreichend Geld für Investitionsfinanzierungen sollte also weiterhin zur Verfügung stehen. Die Frage ist bloß, wo sich die Kupons am KMU-Markt durchschnittlich einpendeln.  Was ist bei Inflationsraten von zuletzt über 7% ein fairer Preis? Derzeit zeichnen sich bei bestehenden KMU-Anleihen ohne Sicherungsinstrumente Renditen von über 9% ab. Für Geschäftsmodelle, die bislang fast ausschließlich von extrem niedrigen Zinsen gelebt haben, wird die Luft entsprechend dünn. Wer in Zukunft eine Perspektive am Kapitalmarkt haben möchte, muss fundamental überzeugen.

Dazu gehört neben den harten Kennzahlen und einem überzeugenden Management  mehr denn je auch die Offenlegung und Erfüllung von ESG-Kriterien. Bei der Ausgestaltung der finalen Taxonomie muss hierbei sichergestellt werden, dass auch vermeintlich „braune“ Unternehmen weiter Mittel erhalten, um ihren Beitrag zum erfolgreichen Wandel der Gesamtwirtschaft leisten zu können und heute noch emissionsintensive Industrien umweltverträglicher zu machen. Multinationale Rüstungskonzerne wie von Lobbyisten gefordert zu ESG-konformen Anlagen zu erklären, schießt sicherlich über das Ziel hinaus und tangiert den KMU-Markt sowieso nur am Rande. Doch wenn eines in den vergangenen Wochen deutlich geworden ist dann, dass Nachhaltigkeit viel komplexer und subjektiver ist als einfache Wahrheiten wie Ausschusslisten es vorzugaukeln versuchen.

Markus Knoss, BankM AG

Markus Knoss ist zugelassener Börsenhändler und Certified Investor Relations Officer und verfügt über jahrelange Erfahrung in verschiedenen leitenden Positionen im Aktienhandel, Salestrading und Portfoliomanagement. Der ausgewiesene Experte für Nebenwerte im deutschsprachigen Raum ist seit 2013 für die BankM AG tätig und verantwortlich für den Bereich Business Development DACH.

Titelfoto: pixabay.com

Portraitfoto: Markus Knoss, BankM AG

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