„Fußnote“: Neue Normalität: 180 Tage – 180 Grad

Dienstag, 20. Oktober 2020


Ein Blick auf den KMU-Anleihen-Markt von Markus Knoss, BankM AG:

Anfang März rauschten die Kapitalmärkte mit zunehmender Verbreitung der Covid-Pandemie in den Keller. Schaut man heute auf den Kurszettel von Aktien und Anleihen, stellt sich unweigerlich die Frage: „War da was?“ Eine Analyse der neuen Normalität.

Am 11. März 2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation COVID-19 offiziell zur Pandemie. Aktien- und Anleihekurse waren zu diesem Zeitpunkt längst im Keller. KMU-Anleihen waren teilweise um mehr als 30 Prozent eingebrochen, der Ausblick düster. „Investoren machen um Unternehmensanleihen dieser Tage einen großen Bogen, Neuemissionen sind in diesem Umfeld nahezu ausgeschlossen“, schrieben wir in unserer Kolumne vom 18. März 2020.

Sechs Monate später ist COVID-19 nicht weniger akut, die Infektionszahlen schnellen in die Höhe und die Angst vor einem zweiten Lockdown wächst. Nur die Kurse sind längst wieder auf ihren alten Niveaus, als hätte es die Viruskrise nie gegeben. Sehr anschaulich lässt sich die Entwicklung des KMU-Anleihesegments anhand des Markit iBoxx EUR Liquid High Yield Index (hier zur besseren Darstellung der Grafik in Form eines iShare Trackers) abbilden. In der März-Hochphase sieht man die enorm gestiegenen Handelsvolumina und die Kurseinbrüche, sowie im weiteren Verlauf die Rückkehr zur „neuen Normalität“.  

Quelle: Bloomberg

Ausprägungen der neuen Normalität

Doch was genau hat es mit dieser neuen Normalität auf sich? Wir hatten schon im März prognostiziert, dass wer bereit ist, sich tiefer mit den selektiven Geschäftsmodellen, Liquiditätskennzahlen und Bilanzrelationen auseinanderzusetzen, durch eine kluge Selektion attraktive Renditen erzielen könne. Diese Einschätzung hat sich bestätigt. Exemplarisch führten wir damals die Jung DMS & Cie. auf, deren Anleihe im März trotz guter Geschäftszahlen, stabiler Bilanz und positivem Ausblick bis auf 70% fiel. Als der Handel vergangenen Freitag (16.10.2020) schloss, lag der Kurs in Frankfurt bei 101,10%. Jung DMS Vorstand Sebastian Grabmaier, der „sein“ Papier zu Kursen um die 80% zurückkaufte, hat somit operativ und spekulativ alles richtig gemacht. 

Insgesamt lässt sich klar festhalten, dass der Markt in den vergangenen 180 Tagen Branchen- und Segmententwicklungen sehr genau analysiert und Risiken neu adjustiert hat. So lässt sich für den am KMU-Anleihemarkt sehr präsenten Immobiliensektor eine deutliche Erhöhung der Renditenkurven feststellen. Bereits emittierte Anleihen sahen zwar eine Erholung in der Anleihekurve, jedoch verharrt die Renditekurve deutlich oberhalb der „alten Normalität“, sprich die Refinanzierung wird sich deutlich verteuern. Ob die Kalkulationen aus der alten Normalität aufrechterhalten werden können, darf bezweifelt werden. 

Ebenso unterscheiden die Investoren knallhart zwischen den vielfältigen Subsektoren der Immobilienwirtschaft. In kurzen klaren Worten: „Out“ sind Projektentwickler, Büro- und Gewerbebestandshalter sowie Wohnimmobilien im Luxuspreissegment. Beispielhaft die Absage der Anleiheemission der DIC Asset AG: Die gestiegenen Renditeerwartungen der Investoren standen in der neuen Normalität nicht mehr im Einklang mit dem Finanzierungsmix der Emittentin. „In“ sind günstige Wohnraumentwickler, Logistik-Standorte, Wohnungsbestandhalter und Nahversorgerparks in guten Lagen. Exemplarisch lässt sich die Anleiheemission der Noratis AG herauspicken, welche sich auf Bestandsentwicklung von günstigem Wohnraum spezialisiert hat.  

Ebenfalls zur neuen Normalität gehört ein Wiedererstarken der runderneuerten Old Economy, die verstärkt an den KMU-Anleihemarkt drängt, um sich neu zu refinanzieren. Und das zu oftmals deutlich niedrigeren Kapitalmarktverzinsungen als zuvor. Das gilt zumindest für jene klassischen Mittelständler, die in der Vergangenheit einen guten und vorausschauenden Job gemacht haben. Schaut man auf die publizierten Halbjahres- und Quartalszahlen zahlreicher KMU-Unternehmen, sind das mehr als gedacht. Allein mit Blick auf die vergangenen Tage lassen sich hier NZWL, Karlsberg, VST Building oder Aves One nennen.

Fenster für Neuemissionen

Auch das Fenster für Neuemissionen scheint in der neuen Normalität wieder weit offen zu sein. Zahlreiche Emissionen drängen derzeit auf den Markt. Alte Bekannte aus dem Immobiliensektor versuchen abermals ihr Glück, aber auch sehr spannende Neulinge aus der Old Economy, dem Renewable Space oder dem Immobilien Facility Management. Gerade letzteren Emittenten, also Renditeoptimierern von Bestandsimmobilien durch digitale Gebäudetechnik und intelligentes Facility Management, trauen wir zu, eine gewichtige Rolle in der „neuen Normalität“ des Immobiliensektors zu spielen.

Man darf also gespannt sein, wie die Investoren auf den bunten Strauß an Möglichkeiten reagieren. Dass „was geht“ haben die Emissionen MOMOX und Karlsberg jedenfalls eindrucksvoll bewiesen. Die Habachtstellung bleibt aber oberste Investorenpflicht. Weltweit bestehen unverändert enorme politische Problemfelder. Zwar sind diese durch das Corona-Virus in der Wahrnehmung in das zweite oder dritte Glied gerutscht, können aber jederzeit wieder an erste Stelle treten. Wie bei Corona wird es dann wieder Gewinner und Verlieren geben. Gute Aussichten, weiter Trumpf zu bleiben, haben digitale Geschäftsmodelle. Aber auch hier wird nicht alles den Durchbruch schaffen und nachhaltig zu monetarisieren sein. 

Eines aber ist sicher: Entgegen der Befürchtungen vieler Kritiker hat der KMU-Anleihemarkt die Krise bislang gut gemeistert. Dies zeigt die eindrucksvolle 180-Grad-Wende der vergangenen 180 Tage ganz deutlich. Dadurch wird das Segment immer mehr zu der Stütze, die der Mittelstand in Ergänzung zur Bankenfinanzierung braucht. Sicher, bis zur neuen Normalität im Finanzierungsmix ist es noch ein Stück, aber ein weiterer wichtiger Schritt ist gemacht.

Markus Knoss, BankM AG

Markus Knoss ist zugelassener Börsenhändler und Certified Investor Relations Officer und verfügt über jahrelange Erfahrung in verschiedenen leitenden Positionen im Aktienhandel, Salestrading und Portfoliomanagement. Der ausgewiesene Experte für Nebenwerte im deutschsprachigen Raum ist seit 2013 für die BankM AG tätig und verantwortlich für den Bereich Business Development DACH.


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