„Fußnote“: „Inflationsanleihen – Wer wird das Massachusetts der Mittelständler“
Ein Blick auf den KMU-Anleihemarkt von Axel Rose, BankM AG:
Anleihen mit Inflationsschutz gelten in Zeiten steigender Preise als probates Kriseninstrument. Entsprechend ist die Nachfrage in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen. Doch bislang ist der Nischenmarkt weitestgehend auf Staatspapiere beschränkt. Taugen die „Linker“ auch für KMUs?
1780 dauerte der amerikanische Unabhängigkeitskrieg bereits fünf Jahre, zur Finanzierung wurde fleißig Geld gedruckt und das Preisniveau galoppierte. Zur Bezahlung seiner Soldaten emittierte das Commonwealth of Massachusetts sogenannte Depreciation Notes, die ersten inflationsindexierten Anleihen der Geschichte. Mehr als 240 Jahre später wird in Europa Krieg geführt und die Preise kennen nach Jahren expansiver Geldpolitik, zunehmender Lieferkettenprobleme sowie der (energie)wirtschaftlichen Folgen der russischen Aggression schon länger nur eine Richtung.
Der Bondmarkt hat in diesem Umfeld eine schmerzhafte Korrektur erfahren. Gerade im KMU-Segment gestaltet sich die Ausgabe neuer Anleihen schwierig. Ist das Frühjahr eigentlich ein beliebter Emissionszeitraum, kam seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine lediglich eine Handvoll neue Bonds auf den Markt, nur einer war voll platziert. Die Unsicherheit überwiegt und die Suche nach dem richtigen Zins dauert weiter an. Die Kursverluste der jüngsten Zeit haben Investoren extrem vorsichtig gemacht und Emittenten müssen gut aufpassen welche Belastung auch im Falle einer Rezession tragfähig ist.
Mehr als eine Nische?
Vor diesem Hintergrund haben wir uns gefragt, ob ein Inflationsschutz Investoren und Emittenten am KMU-Markt nicht wieder näher zusammenbringen könnte. Während erstere sich vor der Erosion realer Renditen absichern würden, profitierten letztere von einem geringeren Basiskupon, weil die Prämie für das Inflationsrisiko entfällt. Dazu käme eine mögliche Verbreiterung der institutionellen Investorenbasis. Gerade für langfristig orientierte Versicherungen oder Pensionsfonds können inflationsindexierte Anleihen attraktiv sein.
Bislang sprechen wir immer noch von einem absoluter Nischenmarkt. Vor allem Regierungen nutzen das Instrument. In Frankreich, einem der Marktführer, entfallen gut 11 Prozent der gesamten ausstehenden Staatsschulden auf die auch als „Linker“ bezeichneten Papiere. In Deutschland belief sich der Anteil Ende 2021 auf weniger als 5 Prozent. Doch mit zunehmender Preissteigerung haben in den vergangenen Monaten auch die Inflationsanleihen weltweit an Prominenz gewonnen. Neuemissionen waren vielfach überzeichnet und das Handelsvolumen verdoppelte sich in der Spitze.
So funktioniert die Inflationsabsicherung
Höchste Zeit also, einen genaueren Blick auf Funktionsweise und Wirkung zu werfen. Inflationsindexierte Anleihen gibt es in zahlreichen Varianten, aber Kern ist immer die Verknüpfung der vom Emittenten zu leistenden Zahlungen mit der Entwicklung eines festgelegten Preisindexes. Diese Verlinkung kann sich auf die zu bezahlenden Zinsen, die Tilgungsleistung oder auf beides gleichzeitig beziehen. Werden Anleger bei einem kuponindexierten Linker mit der jährlichen Zinszahlung sowohl für den Kaufkraftverlust der Kuponzahlung als auch des Tilgungsbeitrags entschädigt (die Rückzahlung erfolgt zum Nominalwert), sind sie dem Inflationsrisiko bei einer kapitalindexierten Anleihe, wie sie zum Beispiel der deutsche Staat herausgibt, mit einer längeren Kapitalbindung ausgesetzt. Während der Laufzeit gibt es hier lediglich eine garantierte Realverzinsung, der Großteil der Entschädigung erfolgt erst mit der indexierten Rückzahlung.
Unabhängig von der Variante, geht mit dem Inflationsschutz ein signifikanter Renditeverzicht einher. Rentierte eine „normale“ deutsche Staatsanleihe mit Restlaufzeit April 2026 am 15. Juli bei 0,55 Prozent, waren es für ihr inflationsindexiertes Pendant -2,02 Prozent. Das Delta bildet die eingepreisten Inflationserwartungen ab und wird auch als Break-Even-Inflationsrate bezeichnet. Berücksichtigt man, dass die Teuerung in Deutschland im Juni bei 7,6 Prozent lag, geht die Mehrheit der Marktteilnehmer folglich immer noch von einem eher vorübergehenden Phänomen aus. Gab es üblicherweise aber einen Consensus, gehen die Prognosen derzeit stark auseinander. Lange Zeit nicht benötigte Instrumente zur Inflationsabsicherung rücken dadurch wieder in den Fokus.
Risiken beherrschbar?
Was Sicherheit impliziert, ist allerdings nicht zwangsläufig frei von Risiken. Weder für Emittenten noch für Investoren. Doch welchen Einfluss haben die drei wesentlichen Faktoren im Mittelstand?
1. Geringe Liquidität
Im Vergleich zu Standardbonds, sind inflationsindexierte Anleihen deutlich seltener, die Liquidität also geringer und die Spreads größer. Das gilt im KMU-Segment noch viel stärker als bei Staatspapieren. Dort lassen sich Investoren das einhergehende Plus an Volatilität üblicherweise mit einer Liquiditätsprämie vergüten. Studien zufolge kann dies den Kostenvorteil der Emittenten zunichtemachen. Allerdings enthalten KMU-Anleihen in der Regel sowieso schon einen Liquiditätsaufschlag und die meisten Ankerinvestoren verfolgen eine Buy&Hold-Strategie.
- 2. Steigende (Real-)Zinsen
Der Wert inflationsindexierter Anleihen schwankt mit der Entwicklung des allgemeinen Zinsniveaus. Steigen die Zinsen, verlieren die Inflationsanleihen an Wert. So geschehen zum Beispiel Anfang des Jahres in den USA, in Reaktion auf die Zinsstrategie der FED. Je länger die Duration des Bonds, desto größer das Risiko. Viel hängt also davon ab, wie anhaltend ein Anleger die Teuerung einschätzt und wie lange er investiert bleiben möchte. Haben staatliche Inflationsanleihen typischerweise Laufzeiten von 10 bis 30 Jahren, sind es im KMU-Segment meist nur fünf Jahre. Zudem sind Zinserhöhungen in der Eurozone angesichts der makroökonomischen Situation trotz aller Preissteigerungen nur begrenzt zu erwarten.
- 3. Erhöhtes Bonitätsrisiko
Übersteigt die tatsächliche Inflation über die Laufzeit des Wertpapiers die bei Ausgabe erwartete Preissteigerung, ist eine Inflationsanleihe für den Emittenten teurer als ein normaler Bond. Bliebe die Teuerung die kommenden fünf Jahre zum Beispiel auf dem aktuellen Level von über 7 Prozent, statt auf durchschnittlich 2,6 Prozent zurückzugehen, wie die Break-Even-Inflationsrate verspricht, wären die Mehrkosten enorm. Den französischen Staat könnten seine Inflationsanleihen allein im laufenden Jahr Schätzungen zufolge rund 15 Milliarden Euro zusätzlich kosten. Allerdings verschafft die Inflation dem Staat auch immense Mehreinnahmen insbesondere bei der Mehrwertsteuer.
Chance für ausgewählte Emittenten
Während die ersten beiden Risiken gerade im KMU-Segment beherrschbar erscheinen, ist der dritte Punkt entscheidend: Mittelständler, die eine Inflationsanleihe begeben wollen, müssen in der Lage sein, steigende Preise an ihre Kunden weiterzugeben. Nur dann sind sie in der Lage auch bei anhaltender Inflation die notwendigen Cashflows für den Schuldendienst zu erwirtschaften. Zudem gilt es den zugrundeliegenden Preisindex passend auszuwählen. Bei einem stark international tätigen Unternehmen ist möglicherweise ein anderer Warenkorb anzusetzen als bei einem überwiegend lokal agierenden Emittenten.
Solchen Strukturierungsfragen zum Trotz, dürfte der Aufwand für die Begebung eines Linkers nicht signifikant größer sein als bei einer normalen KMU-Anleihe. Dafür ist eine hohe Aufmerksamkeit garantiert und die mögliche Ansprache neuer Investorengruppen verbessert die Transaktionssicherheit. Investoren wiederum erhielten eine neue Option zur Portfoliodiversifizierung. Und wie sagte Harry M. Markowitz, Nobelpreisträger und Vater der modernen Portfoliotheorie: „Diversification is the only free lunch in investing.“
Axel Rose, BankM AG
Axel Rose ist seit 2013 bei der BankM AG im Projektgeschäft tätig und hat in dieser Funktion zahlreiche Eigen- und Fremdkapitaltransaktionen begleitet. Als Hausbank für den Kapitalmarkt unterstützt BankM mittelständische Unternehmen mit einem breiten Dienstleistungsspektrum und gehört zu den führenden Banken im Bereich KMU-Anleihen.
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