„Fußnote“: Genussscheine – Aussterbende Spezies oder Renaissance?

Dienstag, 27. September 2022


Ein Blick auf den KMU-Anleihemarkt von Markus Knoss, BankM AG:

Welche Markttendenzen gibt es, was sind aufkommende Finanzierungstrends? Diese Fragen stellen wir uns regelmäßig in unserer Fußnote. Heute im Blickpunkt: Genussscheine. Kann das einstige Universalwerkzeug im aktuellen Kapitalmarktumfeld für den Mittelstand wieder en vogue werden? 

Hatten wir uns in unserer letzten Fußnote die Tauglichkeit von Inflationsanleihen für KMUs näher angeschaut, wollen wir uns heute auf die Spur einer anderen scheinbar totgeglaubten Spezies begeben. Der gute alte Genussschein. Nachdem die Suezkanal-Gesellschaft dieser Finanzierungsform 1856 zum Durchbruch verhalf, waren die Genüsse bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts fester Bestandteil des Finanzierungsbaukastens. Besonders Banken und Versicherungen griffen regelmäßig auf die Emission von Genussscheinen als Eigenkapitalersatz zurück.

Dann kam 2008 die Finanzkrise und auf einmal war alles anders. Mit der Einführung der Basel-III-Vorschriften zählten Genussscheine plötzlich nicht mehr zum voll haftenden Kernkapital (Tier 1). Der International Accounting Standard (IAS 32) zog nach und laufzeitbegrenzte Genussrechte durften nicht mehr im Eigenkapital verbucht werden, sondern fielen nunmehr unter die Fremdkapitalpositionen. Mit Folgen für nach IFRS bilanzierende Emittenten: So verschlechterte sich die Eigenkapitalquote der SIXT SE mit Einführung des modifizierten IAS 32 schlagartig von 29% auf 20%.

Neue Krise, neue Chance

Über 10 Jahre später könnte eine andere Krise den Dornröschenschlaf beenden. Wir beobachten jedenfalls vermehrte Anfragen und ein wachsendes Interesse. Doch warum werden Genussscheine speziell im Mittelstand plötzlich wieder als Finanzierungsalternative wahrgenommen? Um diese Frage zu beantworten, lohnt es sich zunächst einen Blick auf die Herausforderungen im aktuellen Umfeld werfen:

Wir haben eine Inflation, die gekommen ist, um zu bleiben. Ergo weiter steigende Zinsen. Dazu nicht erst seit der jüngsten Teilmobilmachung ein unkalkulierbares Risiko der weiteren Eskalation mit Russland. Also unverändert hohe Volatilität an den Kapitalmärkten, gepaart mit Rezessionssorgen. Eine Bankenlandschaft, die immer mehr reguliert wird (Stichwort Basel-IV) und somit bei der Kreditvergabe immer restriktiver vorgehen muss. Ein verschärfter Kampf um Talente, speziell für den Mittelstand sind Mitarbeitergewinnung und vor allem -bindung elementar.

Interessenausgleich im Spannungsfeld

Gleichzeitig beobachten wir eine Re-Allokationen bestehender Assets über Branchen und Anlageinstrumente. Das heißt aber auch, dass das Gros der bestehenden Mittel weiterhin für Investitionen zur Verfügung steht. Nur eben zu neuen Bedingungen. Und da kommen die Genussscheine ins Spiel. Zwar sind sie im Gegensatz zu Aktien, Anleihen oder klassischen Krediten im ersten Schritt erklärungsbedürftiger, punkten dafür aber mit ihrer Vielfältigkeit. Genau das macht sie für kapitalsuchende Unternehmen, die sich im dargestellten Umfeld schwer tun alle Stake- und Shareholder gleichermaßen zufriedenzustellen, attraktiv. Hier das Spannungsfeld, in dem Emittenten sich derzeit bewegen:

  1. 1. Die Gesellschafter/Aktionäre wollen keine Verwässerung oder wollen bei der aktuellen Bewertung ihres Unternehmens keine Anteile abgeben.
  2. 2. Investoren sind sich unsicher ob des Zinssatzes und wünschen sich Flexibilität.
  3. 3. Aufgrund der Konjunkturunsicherheit können sich die zu finanzierenden Projekte verschieben und die Bilanz belasten.
  4. 4. Die Hausbanken wollen für weitere (Projekt-)Finanzierungen mehr Eigenkapital sehen.
  5. 5. Die Mitarbeiter binden sich nur langfristig, wenn sie stärker am Erfolg beteiligt werden.

Ein Genussschein kann bei entsprechender Strukturierung einen Interessenausgleich herbeiführen. Als aktienähnliche Wertpapiere verkörpern Genüsse schuldrechtliche Ansprüche, jedoch keine Mitgliedsrechte. Folglich gewähren sie Vermögensrechte, aber kein Stimmrecht. In der Regel enthalten sie eine Gewinnbeteiligung, teilweise auch eine Beteiligung am Liquidationserlös. Ferner kann eine Verlustbeteiligung vereinbart werden.

Durch den hybriden Charakter vermeiden die bestehenden Gesellschafter eine Verwässerung. Der Zinssatz kann flexibel gestaltet, das Zinsänderungsrisiko ausgeschlossen werden. Meist erfolgt ein Bezug zur Dividende oder zum Bilanzgewinn. Dem Emittenten wird der Druck genommen, bei Projektverzögerungen oder in Verlustjahren noch zusätzlich Zinsaufwand für die Genüsse leisten zu müssen. Bei sich wiedereinstellendem Erfolg, wird der Zinsausfall aufgeholt.

Flexibilität als Wettbewerbsvorteil

Werden ein paar wesentliche Punkte eingehalten (u.a. lange Laufzeit, Kündigungsrechte), können nach HGB-bilanzierende Emittenten (und unter Umständen sogar IFRS bilanzierende AGs) das Genussrechtskapital als eigenkapitalergänzend verbuchen und entlasten somit die Bilanz und verbessern in den meisten Fällen ihr Kredit-Scoring bei den finanzierenden Banken. Und im Rahmen von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen kann die Belegschaft am Unternehmenserfolg zusätzlich partizipieren.

Grundbedingung für die Emission ist bei Aktiengesellschaften die Schaffung von genehmigtem Kapital zur Ausgabe von Genussscheinen im Rahmen der Hauptversammlung. Ein Bezugsrecht muss gewährt werden. Darüber hinaus ist die Ausgestaltung gesetzlich nicht im Detail geregelt. Um die Fungibilität zu gewährleisten und sich eine Kapitalmarkthistorie aufzubauen, ist die Börsennotiz jedoch ein ganz wichtiger Baustein für den Gesamterfolg einer Genussrechtstransaktion. Um diese These zu belegen, müssen wir nicht bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen. Bertelsmann, Dräger Werke oder Magnum AG heißen die modernen Vorbilder für KMUs.

Markus Knoss, BankM AG

Markus Knoss ist zugelassener Börsenhändler und Certified Investor Relations Officer und verfügt über jahrelange Erfahrung in verschiedenen leitenden Positionen im Aktienhandel, Salestrading und Portfoliomanagement. Der ausgewiesene Experte für Nebenwerte im deutschsprachigen Raum ist seit 2013 für die BankM AG tätig und verantwortlich für den Bereich Business Development DACH.

Titelfoto: pixabay.com

Hinweis: Diese Kolumne erschien zunächst in der neuen Ausgabe des Anleihen Finder Newsletters (September-2-2022). Registrieren Sie sich hier für unseren kostenlosen Newsletter und seien Sie stets vorab informiert.

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